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Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Titel: Nachrichten aus einem unbekannten Universum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Völkerverständigungsmanier.
    Stimmt sogar. Umfragen in chinesischen Metropolen zufolge essen 30 bis 40 Prozent der besser gestellten Chinesen regelmäßig Haifischflossensuppe. Ebenso finden sie es völlig in Ordnung, die Tiere ausschließlich ihrer Flossen halber zu erbeuten. Erst als die Aktivisten Disney mit einer groß angelegten Boykott-Kampagne drohten, wurde die strittige Suppe von der Karte genommen. Der Vorfall zeigt, wie sehr sich die Bilder gleichen. Die großen Fragen zum Walfang, beim Hai finden sie ihre Entsprechung. Eine davon ist für viele offenbar die wichtigste: Darf man keine Haifischflossen mehr essen, auch wenn es die Sitten so wollen?
    Doch, man darf.
    Die Frage ist nur, auf welche Weise man in den Besitz der Flossen gelangt und wie viele man auf den Markt zu bringen gedenkt. Das Geschrei in Deutschland wäre groß, wenn herauskäme, dass Ochsen bei lebendigem Leib ihr zweitbestes Stück abgeschnippelt würde. Dennoch ist eine hausgemachte Ochsenschwanzsuppe was Feines und sehr zu empfehlen. Ihretwegen sterben die Ochsen nicht aus, ebenso wenig wie sie verstümmelt in die nächste Schlucht geworfen werden, um dort zu verrecken. Stattdessen werden sie regulär geschlachtet und verwertet, von den Hörnern bis zum Hodensack, und was an Schwanz verbleibt, das wandert in die Suppe.
    Während alles empört auf die Chinesen schaut, weil sie Haie essen und ihnen schlimme Dinge antun, beißen die Deutschen herzhaft ins Schillerlockenbrötchen, futtern Seeaal in Gelee, rufen die Franzosen »Olala!« angesichts einer auf den Punkt gegarten Saumonette und freuen sich die Japaner über ein saftiges Schwertfischsteak. Überall auf der Welt ist Schwertfisch Schwertfisch, nur in Japan entpuppt er sich bei näherem Hinsehen als Hammerhai. Der Seeaal ist im wirklichen Leben ein Dornhai. Auch bei Schillerlocken handelt es sich nicht um die konservierten Haarsträhnen des Dichterfürsten, sondern ebenfalls um Dornhai. Wem, der das nicht weiß, wollte man einen Vorwurf machen? Selbst wenn er es doch weiß und lediglich keine Ahnung hat, dass Dornhaie extrem gefährdet sind, kann er mit vollem Recht auf seine kulinarischen Vorlieben verweisen.
    Andere tun’s ja auch. Die Inuit essen getrockneten Grönlandhai, in Island wird er fermentiert (ein anderes Wort für kontrollierte Verwesung). Für Haie gilt wie für alle anderen Bewohner des Planeten die Regel vom Fressen und Gefressenwerden. Tiere dienen uns als Grundnahrungsmittel und mitunter auch als Delikatesse. Beides in Ordnung.
    Und es gibt Perversion. Nicht in Ordnung.
    Leider aber weit verbreitet, und keineswegs nur in China. Die USA zum Beispiel haben Shark-Finning gesetzlich untersagt, führen die Flossen jedoch ein und finden in ihrer chinesischstämmigen Bevölkerung dankbare Abnehmer. In Spanien hingegen wird munter gefinnt. Die Flossen sind Gold wert. Eine regelrechte Haifischflossenmafia betreibt das eklige Geschäft, so wie kolumbianische Drogenbarone ihren Stoff verhökern. Dass sie für den fraglichen Gaumenschmaus gesalzene Preise verlangen können, verdankt sich nicht alleine dessen Stellenwert als Delikatesse. Die Preise steigen auch, weil die Bestände der Haie sinken. Rund um den Globus sind sie hoffnungslos überjagt. Auch andere Länder beteiligen sich stillschweigend an dem Gemetzel und streichen kriminell hohe Gewinne ein für das bisschen fade Flosse.
    Vor allem aber zeugt die Massenhatz von Dummheit. Denn wenn das so weitergeht, sind irgendwann keine Haie mehr da. Dann freuen sich die Sardinen und die Thunfische und die Makrelen und die Robben, bis man ihnen die Geschichte von den Huftieren und den Löwen erzählt. Und wieder wird es zu spät sein, die Uhr zurückzudrehen.
    Der Vergleich zur Serengeti liegt nahe. Haie sind die Löwen und Tiger der Meere. Eine Gesundheitspolizei, um Schwache und Kranke aus dem Verkehr zu ziehen und zu verhindern, dass andere Spezies überhand nehmen. Sie erfüllen dieselbe Funktion wie ehedem die Ichtyosaurier, Plesiosaurier, Mosasaurier oder der Basilosaurus. Ihre Individuenzahl liegt immer weit unter der ihrer Beutetiere, ein ungeschriebenes Gesetz der Natur: je kleiner die Lebewesen, desto größer ihre Population. Die nächstgrößere Spezies muss ja in der Minderzahl sein, weil jedes Einzeltier zum Überleben Dutzende und Hunderte der Kleinen mummeln muss. Außerdem sollen genügend übrig bleiben, um Nachwuchs zu zeugen. Dieses Prinzip, bestens bekannt aus dem Kapitel über Plankton, setzt sich nach

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