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Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Titel: Nachrichten aus einem unbekannten Universum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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alles Ratzeputz verwertet: Detritus, Algen, abgestorbenes Plankton. Alles Gute kommt von oben. Auf diese Weise gelangt immerhin der hundertste Teil des Energiebetrags, den grüne Wasserpflanzen durch Photosynthese erzielen, in die Mägen der Bodenbewohner, die ansonsten in perfekter Eintönigkeit vegetieren. Eigentlich ist Hunger das Einzige, was sie überhaupt dazu veranlasst, sich von der Stelle zu rühren. Und auch das nicht immer. Unsere Venuskörbchen filtern Nährstoffe aus der Strömung. Seegurken hingegen verdauen Stück für Stück den Meeresboden, unendlich gründlich. Wahrscheinlich gibt es kein Bröckchen Sediment, das nicht irgendwann durch eine Seegurke oder einen Wurm gewandert ist. Alles vollzieht sich in quälender Langsamkeit, selbst der Stoffwechsel hadalischer Kreaturen. Wie sollte es auch anders sein in der immerwährenden Eiseskälte.
    Frieren müssen Gurken und Gesellen freilich nicht. Die Lebewesen der Tiefseeböden sind wechselwarm, das heißt, ihr Metabolismus passt sich der Umgebungstemperatur an. Trotzdem scheint es vernünftig, unter solch unwirtlichen Bedingungen mit den Energiereserven hauszuhalten. Nur eines ist geeignet, das allgemeine Aktivitätslevel schlagartig heraufzusetzen: die Ankunft eines richtig großen Brockens!
    Fürs Erste bringt der allerdings nur Tod und Zerstörung mit sich. Haben es die Venuskörbchen nicht immer schon gewusst? Eines Tages dräut der Weltuntergang. Nur gute Körbchen kommen ins Paradies, wo es unentwegt Manna gibt und keine blöden Krabben, die an einem knabbern und kratzen. Alles beginnt mit einer starken Druckwelle, und ehe die Kreaturen des Bodens ihre trüben Neuronen befragen können, was zu tun sei, fällt ihnen ein Pottwal auf den Kopf. Venuskörbchen, Seelilien, Seeanemonen, wer immer das Pech hatte, dieses Patch zu bewohnen, wird geplättet. Das grausame Schicksal teilen etliche Krebse, die nicht rechtzeitig auf die Seite gehen konnten, Seegurken und andere Hohltiere, Schuppen- und Borstenwürmer, Seesterne und Seeigel.
    Doch kaum ist der Wal aufgeklatscht, entwickeln Millionen Lebewesen rege Geschäftigkeit. Das Ereignis scheint sich rasch herumzusprechen, allein schon durch den heftigen Rumms, der den Boden weithin erschüttert. Jedenfalls ist es verblüffend zu sehen, wie schnell der Kadaver zahlreiche Verwerter anzieht, deren feine Geschmackssensoren ihnen den Weg weisen. Die ersten Ankömmlinge sind winzige Krebse, deren zwei vordere Beinpaare zu hocheffizienten Zerkleinerungswerkzeugen ausgebildet sind. Flohkrebse oder Amphipoden gibt es in allen Gewässern und Gewässerschichten. Sie wimmeln über den toten Wal hinweg und schmirgeln ihn, unterstützt von Aas fressenden Schleimaalen und Grenadierfischen, die sich kurz nach ihnen einstellen. Eine Weile später gesellen sich riesige Schlafhaie hinzu, auch Grauhaie hauen kräftig rein. Erst sehr viel später tauchen die Würmer auf, und wenn nach Ablauf einiger Monate alles Fleisch verschwunden ist, werden die Knochen in Angriff genommen. Auf diese Weise bietet der Kadaver den unterschiedlichsten Lebensformen ein gutes Jahr lang Nahrung. Selbst die Schleimaale entdecken zwischen den Knochen noch winzige Gewebereste, wenn unsereiner schwören würde, sie seien blank geputzt. Muscheln verkrusten zu Speisegesellschaften und überwuchern das zerfallende Skelett, den Rest erledigen die Destruenten.
    Stimmt, so ein Leben ist alles andere als einladend. Schon die einfallslose Landschaft drum herum. Endlose Flächen dunkelbraunen und rötlichen Tons, dazwischen sanft ansteigende Berge, wieder Flächen, wieder Berge, zur Abwechslung Berge, dann wieder Flächen. Egal. Man sieht eh nichts davon. Weit staunenswerter ist, wie reich das Leben hier gedeiht. So gelangen wir nun zu den Schwarzen Rauchern, auch Schwarze Schlote oder hydrothermale Quellen genannt. Sie sind uns vertraut, denn hier haben wir unsere Zeitreise begonnen, im Inneren eines Kupfersulfatbläschens. Stimmt die Theorie von Michael Russell und William Martin, sind die Schlote unsere lange vergessene Heimat, wieder entdeckt von Forschern, die eines Tages aus den Bullaugen des Tieftauchbootes »Alvin« starrten und ihren Augen nicht trauen wollten. Eigentlich hatten sie zum Mittelozeanischen Rücken gewollt.
    Stattdessen entdeckten sie einen fremden Planeten.
    1979 fielen erstmals Scheinwerfer auf ein Biotop, das inzwischen vielfach beschrieben wurde und ungebrochene Faszination ausübt. Jene meterhohen, über Jahre gewachsenen Kamine,

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