Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Titel: Nachrichten aus einem unbekannten Universum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
Vom Netzwerk:
in sich hineinmümmeln. Was immer sich an Nahrhaftem darin findet, wird verdaut, das Sediment hingegen wieder ausgeschieden. Schnell verwandelt sich der gemütliche Junggesellenhaushalt eines Einzellers so in eine sauber renovierte Wohnhöhle, die sogleich bezogen wird, nachdem der Vorbesitzer im Gurkenbauch endete. So wie Wale die Filtrierer der Oberfläche sind, kann man Seegurken als deren bodenlebende Entsprechung betrachten. Im Grunde sind sie kriechende Därme, auch Seewalzen genannt und den Stachelhäutern zugehörig. Das ist ein immens vielseitiger Tierstamm, der auch Seesterne, Seeigel und Seelilien umfasst. Zu den ganz großen Errungenschaften der Seegurke gehört ein klar definiertes Vorne und Hinten, weshalb es ihr nicht passieren kann, ihr Abendessen durch den After aufzunehmen und die Reste gedankenverloren ins Sediment zu kotzen. Um das konvulsivisch zuckende Maul gruppieren sich fleischige Fühler, Beine gibt’s keine, oft allerdings beinartige Tentakel und biegsame Röhren auf dem Rücken. Trotzdem können Seegurken laufen. Auf unzähligen flüssigkeitsgefüllten Füßchen, so genannten Ambulacralfüßen, erkunden sie die Welt. Dafür hat der Krabbeldarm kein Skelett beziehungsweise nur ein paar kümmerliche Reste davon. Seegurken-Innereien schätzt man in Asien als Leckerei, eine gefährliche Vorliebe, denn manche Seegurken sind üble Giftschleudern — sie spritzen ihren Gegnern toxischen Schleim entgegen, der fies klebt. Sogar die Wasserlungen, recht exotisch im Tierreich, sind Teil des Darms. Ein Wesen also, das Prioritäten setzt.
    Das muss es auch. Anders als das Nekton, das mit kräftigen Flossenschlägen auf Beutefang geht, ist sein Versorgungsradius am Boden begrenzt. Wissenschaftler nennen besiedelte Zonen der Tiefseeböden Patches, eine Art unterseeische Version von Städten. Anders als auf dem Land grenzen Hadalstädte unmittelbar aneinander. Kein Winkel, in dem nicht Myriaden von Kleinstlebewesen zu Hause wären. Die wahren Metropolen allerdings erheben sich in Abständen voneinander. Es sind Lebensbereiche, in denen besonders komplexe Vielfalt herrscht. Gleich werden wir hydrothermale Schlote bereisen, wahre Musterstädte.
    Zurück zum Essen.
    Von Mikroben alleine, wie zahlreich sie auch vertreten sein mögen, wird man nicht satt. Die Bodenbewohner des Hadals sind darum auf ständigen Nachschub angewiesen, auf biologischen Detritus. Falls Sie jung und religiös sind, könnten Sie sich an dieser Stelle wundern, was Krebse, Würmer und Gurken mit einer christlichen Trash- Metal-Band zu tun haben. Es gibt nämlich eine, die Detritus heißt, sich also den lateinischen Namen für Abfall zugelegt hat. Literaten kennen Detritus eher als Figur aus Terry-Pratchett-Romanen, außerdem bezeichnet Detritus Gesteinsschutt und zermahlene Überbleibsel von Fossilien.
    In unserem Fall handelt es sich um organische Reste toter Lebewesen. Böden sind die Resteverwertungsstellen der Ozeane. Zersäbelt ein Tigerhai einen Lachs, sinken Fetzen herab. Entgleiten einem Putzerfisch bei der Zahnpflege eines Haremsfahnenbarsches oder einer Riesenmuräne Speiserestchen, treten sie ihren Weg durchs kalte Dunkel an und landen, wenn sie nicht unterwegs von hungrigen Mäulern aufgeschnappt werden, im Hadal. Verendet eine Sardine, schwebt der Kadaver abwärts. Etliche Bewohner der unteren Stockwerke beißen ihren Teil aus dem schuppigen Leib, doch ein kümmerlicher Rest erreicht die tiefsten Zonen, und sei es nur eine Schuppe. Detritus, das ist die Summe sämtlicher Schwebstoffe, die im Lichtkegel eines Tauchboots oder einer ferngesteuerten Kamera wie Schneegestöber aussehen. Insgesamt sind es Millionen Tonnen organischen Abfalls, die von den Meeresströmungen teils über weite Strecken mitgeführt und mehrfach wieder hochgeschwemmt werden, bis Venuskörbchen, Tiefseegarnele und Seegurke endlich zu ihrem Recht gelangen. Auch der organische Schnee, den Krill, Salpen und andere Destruenten ausscheiden, gehört zum Detritus.
    Ach ja, Destruenten! Den Begriff hatten wir noch nicht. So nennt man in der Biologie Mikroorganismen, die verdauen, was andere nicht verwerten können. Dabei spalten sie Moleküle und scheiden CO 2 und freien Sauerstoff aus, sind also von großer Wichtigkeit für die ökologische Bilanz. Auch bestimmte Pilze, Würmer und Krebse zählt man zu den Destruenten. Viele der kleinen Saubermänner haben wir in den vorangegangenen Kapiteln schon kennen gelernt.
    Kurz, im Tiefgeschoss der Schöpfung wird

Weitere Kostenlose Bücher