Nachrichten aus einem unbekannten Universum
denen ein brühheißes Gemisch aus Wasser, Schwefel-Metall-Verbindungen, Zink, Kupfer und anderen Mineralien entströmt. Schnell nochmal im Telegrammstil: Wo der Meeresboden auseinander driftet, quillt Magma empor und erkaltet zu porösen, rissigen Kissen. Meerwasser sickert in die Risse und gelangt in mehrere Kilometer Tiefe, bis oberhalb der Magmakammer, wo es so stark erhitzt wird, dass es mit bis zu 400 Grad Celsius zurück nach oben schießt. Dort, gesättigt mit mineralischen Stoffen aus dem Erdinneren, bricht es sich Bahn. Verdampfen kann das kochende Wasser unter dem Druck der Tiefsee nicht, es bleibt flüssig, allerdings flocken die mineralischen Bestandteile aus, sobald sie mit dem 0 bis 2 Grad kalten Bodenwasser in Berührung kommen. Als Folge färbt sich der ausquellende Rauch schwarz, was den Kaminen ihren Namen eingebracht hat, Schwarze Raucher (es gibt allerdings auch White Smoker, die hellere Substanzen zutage fördern). Die ausgeflockten Metall-SchwefelVerbindungen jedenfalls sinken unter ihrem Eigengewicht zu Boden, wo sie die Basis des Schlots bilden. Mit der Zeit türmen sie ein kaminartiges Gebilde auf. Der größte je gesehene Schlot ist nicht umsonst unter dem Namen Godzilla verzeichnet, er ragt 24 Meter in die Höhe, ein Tokio der Tiefe. An den Flanken des Schlots siedeln sich schließlich extremophile Mikroben an — und dann auf einen Schlag Hunderte unterschiedlicher Arten.
Die Forscher, die mit staunenden Augen auf die bizarre Welt schauten, begriffen die Konsequenz aus ihrer Entdeckung erst viel später. Natürlich wussten sie, dass in Meerestiefen ab 200 Meter mangels Sonnenlicht keine Photosynthese mehr stattfindet. Ergo ging man davon aus, dass komplexe Lebensgemeinschaften unterhalb dieser Grenze nicht existieren konnten. Ausnahmen bildeten Lebewesen, die den organischen Schnee vertilgten, also auch in Tausenden Meter Tiefe indirekt vom Produkt der Photosynthese lebten. Hier allerdings, am Mittelozeanischen Rücken, lag der Fall umgekehrt: Die Bewohner der hydrothermalen Schlote fraßen, was von unten kam. Ihre Nahrung bezogen sie aus dem Erdinneren. Damit waren sie der lebende Beweis, dass sich Leben auch ohne Sonne entwickeln konnte, was der Hypothese von Russell und Martin den Unterbau lieferte.
In den folgenden Jahren stieß man rund um den Globus auf die extravaganten Lebensgemeinschaften. Vor den Galapagos-Inseln hatte man sie erstmals entdeckt, in 2.000 Meter Tiefe. Aber auch am Juan-de-Fuca-Rücken vor der amerikanischen Nordwestküste sind sie reichlich vertreten. 1993 fand man 1.700 Meter unter dem nordatlantischen Meeresspiegel ein Gebiet von rund 150 Quadratkilometern, aus dem Quellen mit Temperaturen bis zu 333 Grad Celsius sprudelten. Das »Lucky Strike«-Hydrothermalfeld ist die größte bekannte Ansammlung hydrothermaler Schlote und Tummelplatz für riesige Schwärme fremdartiger Krabben. Die Nahrungskette beginnt, wen wundert’s, mit Bakterien, denen die siedende Hitze nichts ausmacht. Statt Photosynthese spalten sie die unerschöpfliche Energie aus dem Erdinneren mittels Chemosynthese in verwertbare Stoffe, die auch höheren Organismen zugute kommen. Wie das so ist, wenn es was umsonst zu futtern gibt, stellen sich wahre Volksmassen ein. Muscheln, besagte Krebse, Fische, Würmer und Mollusken. Die Metropole hat zu existieren begonnen.
Am auffälligsten unter allen Schlotbewohnern ist sicher Riftia pachyptila, der Riesenbartwurm, ein phallisch wirkendes Ungetüm, das bis zu drei Meter lang werden kann. Rund um die Kamine ragen Riftias Wohnröhren wie weiße Isolierrohre in die Höhe, zu dichten Büscheln gepackt. Daraus schauen die eigentlichen Würmer hervor, wenn sie nicht gerade Schutz suchen. Riftia selbst ist von blutroter Farbe, ein augenloses Wesen, das mit zwei wulstigen weißen Lippen die Feinheiten seiner Umgebung zu erschmecken scheint. Tatsächlich hat Riftia gar keinen Mund, auch keinen After und keine Gedärme. Der vordere Teil des Tieres besteht aus federartigen Kiemenbüscheln, getränkt von besonderem Blute. Damit kann Riftia auch in einer Hölle aus Schwefelwasserstoff und massiven Schwermetallkonzentrationen überleben. Fast alle sonstigen Lebewesen mit Hämoglobin im Körper würden an den Mengen des ausgestoßenen Schwefelwasserstoffs ersticken, der verhindert, dass Sauerstoffmoleküle an Hämoglobinmoleküle ankoppeln können. Das Blut der Bartwürmer lässt jedoch eine getrennte Bindung von Sauerstoff und Schwefel zu. Beide Substanzen
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