Nachrichten aus einem unbekannten Universum
die Population der Einzeller mit jedem Zyklus, und es geschah gewissermaßen, was auch in Australien passierte, als die Kaninchen das Kommando übernahmen:
Sie veränderten ihre Umwelt.
Damals hatten einige Archäen begonnen, Methan als Ausscheidungsprodukt ihres Stoffwechsels abzusondern. Methan ist ein Treibhausgas. Gelangt es in hoher Dosierung in die Atmosphäre, begünstigt es die Erderwärmung. Die Uratmosphäre nahm das ausgeschiedene Methan auf und konservierte es. Heute wird atmosphärisches Methan mittels freien Sauerstoffs binnen zehn Jahren abgebaut; der war aber damals noch nicht vorhanden. So konnten Methan-Moleküle bis zu 10.000 Jahre überdauern. Sie durchsetzten das vorherrschende Gemisch aus Wasserdampf, Kohlendioxid und Stickstoff, und die Erde, gerade abgekühlt, begann sich wieder aufzuheizen. Diesmal allerdings entstand kein Glutofen, sondern ein Klima, in dem Leben besser gedieh denn je. Die Sonne leuchtete noch nicht so intensiv wie heute. Außerdem wirkt Methan ab einer gewissen Dosierung sogar kühlend, weil seine Moleküle zu Ketten verschmelzen und einen Dunst erzeugen, der die Sonneneinstrahlung abschwächt.
Die urtümlichen Zellen jedenfalls gediehen prächtig und dienten anderen Zellen als Energielieferant, die Mittel und Wege fanden, sich an ihren Ausscheidungen und Überresten gütlich zu tun. Immer noch lebten manche Prokaryonten am Meeresgrund, aber sie waren nicht länger auf die hydrothermalen Quellen angewiesen, sodass unzählige andere die oberflächennahen Schichten bevölkerten. Rund um die vulkanischen Inseln gab es schwefelhaltige Quellen. Viele Prokaryonten verdauten deren alkalische Stoffe, andere jedoch entdeckten eine neue, unendlich ergiebigere Energiequelle für sich, die aus dem Zentrum des Sonnensystems Licht und Wärme zur Erde schickte.
Miss Evolutions zweite Meisterleistung ist die Photosynthese.
Ohne sie könnten wir nicht atmen, gäbe es keine Berliner Luft, Luft, Luft und Lieder wie The Air That I Breathe. Solange das Meer noch als kochende Hülle über einer glühenden Basaltsee gelegen hatte, war die Atmosphäre gesättigt gewesen mit wärmespeicherndem Kohlendioxid. Der anschließende Dauerregen hatte es zu großen Teilen in den Ozean gespült, wo es als Kalziumkarbonat den Boden sedimentierte. Was Vulkane Jahrmillionen lang ausgespien hatten, sammelte sich nun im Meer, darunter Eisen, Magnesium und verschiedene Siliziumverbindungen. Erhalten blieb vornehmlich atmosphärischer Stickstoff. Kein menschliches Wesen hätte in dieser Uratmosphäre existieren können, die eher den heutigen Bedingungen auf der Venus entsprach. Doch vor etwa 2,5 Milliarden Jahren fand in den Meeren ein rapider Wandel statt, der den ganzen Planeten erfassen und umgestalten sollte. Verantwortlich waren Winzlinge, Cyanobakterien, die einen genialen Trick entwickelt hatten. Was den Hippies misslang — nur von Luft und Liebe zu leben —, schafften sie auf ihre Weise:
Sie ernährten sich von Licht.
Licht an sich ist nicht einfach Helligkeit. Es besteht aus Photonen, körperlosen, aber hoch energetischen Teilchen, die uns in verschiedenen Wellenformen erreichen. Daraus müsste sich doch was machen lassen, dachte unsere gewitzte Miss, und zwar wie folgt: Treffen die Photonen auf eine spezialisierte Membran im Inneren einer Cyanobakterie, wird die Energie dort eingefangen und gespeichert. Diesen Prozess nennen wir Lichtreaktion. Die Membran hat praktisch die Funktion eines Akkus, sie speichert Sonnenlicht. In einer zweiten Phase, der Dunkelreaktion, wird diese Energie nun chemisch umgewandelt, um aus Wasser und Kohlendioxid Zucker zu bilden, also Kohlenhydrate, die der Bakterie als Nahrung dienen. Fertig ist die Synthese.
So weit, so gut.
Was einfach klingt, erwies sich jedoch als komplizierter Prozess, in dessen Verlauf es zu diversen molekularen Umbauarbeiten kam, unter anderem zur Spaltung von Wasser. (Für alle, die es ganz genau wissen wollen: Im Zuge der Lichtreaktion hatten sich ein paar Elektronen dünne gemacht, die das Bakterium gern ersetzt haben wollte, also suchte und fand es sie im reichlich vorhandenen H2O. Um dessen Elektronen herauszulösen, musste es die Wassermoleküle allerdings in Wasserstoff und Sauerstoff zertrümmern.)
Bis dahin war Sauerstoff nur in Nebenrollen vorgekommen, chemisch gebunden. Er komplettierte Kohlendioxidverbindungen, fand sich in Eisen und im Wasser. Jetzt kam er erstmals frei. Anfangs ging er neue Verbindungen mit Schwefel und Eisen
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