Nachrichten aus einem unbekannten Universum
Kilometer lang und 20 Kilometer breit, durchschneiden sie den eisigen Mantel. Manche sind rötlich eingefärbt, mit unscharfen Rändern und helleren Streifen in der Mitte. Mit der Zeit verdichtete sich die Erkenntnis, dass es Bruchzonen sein müssen, was auf tektonische Aktivitäten schließen lässt. Offenbar verschieben sich große Eisschollen gegeneinander als Resultat mächtiger Konvektionsströme. Ganz klar, sie schwimmen auf etwas, ebenso wie die Erdkruste auf der Asthenosphäre schwimmt, und dieses Etwas muss Wasser sein oder breiiges Eis.
Zudem scheint es auf Europa eine Art Cryovulkanismus zu geben: kalte Eruptionen von Eis und Gas anstelle von Lava, um die Spalten von unten her aufzufüllen, ähnlich wie flüssige Magma in die Spreizungsachsen der Mittelozeanischen Rücken dringt. Andere Gegenden auf Europa erinnern an Packeisfelder, wie man sie während des Tauwetters in der Arktis und Antarktis vorfindet.
Schließlich entdeckte man zwei Regionen, in denen Eisplatten unter anderen Platten abtauchen: Subduktion! Der Mond recycelt seine Oberfläche. Alles dort ist in ständiger Bewegung, auch, weil der riesige Jupiter gewaltige Gezeitenkräfte auf Europa ausübt und bis zu 30 Meter hohe Flutberge verursacht, die das Eis förmlich auseinander reißen. Die Schollen bleiben in Bewegung, bis der Mond den Göttervater einmal umkreist hat. Dann ist vorübergehend Ruhe, bis zum nächsten Flutberg. Und wieder beginnen Risse um den Planeten zu wandern. Heute ist bekannt, dass alle halbe Stunde neue Risse entstehen, womit Europa als tektonisch äußerst lebhaft gilt.
Aber heißt lebhaft auch Leben?
Zunächst spekulierte man über die Dicke des Eispanzers und die Tiefe des darunter liegenden Ozeans. Geholfen haben letztlich Daten der Raumsonden »Galileo« und »Voyager«. Inzwischen wissen wir mit einiger Sicherheit, dass die Kruste bis zu 19 Kilometer durchmisst und der darunter liegende Abgrund jeden irdischen Ozean wie einen Tümpel aussehen lässt. Zwischen 80 und 100 Kilometer tief ist Europas Meer, die größte Menge Wasser, die ein Himmelskörper unseres Sonnensystems auf sich vereint. Erstaunlicherweise gibt es kaum Einschlagkrater in der Kruste, was zwei Schlüsse nach sich zieht: Erstens, der Mond ist verhältnismäßig jung, also zu einer Zeit entstanden, als das ganz große Steineschmeißen der Vergangenheit angehörte. Zweitens, in ihrer Frühzeit war Europas Oberfläche flüssig. Noch bis vor 50 Millionen Jahren dürfte es offene Meere gegeben haben. Dieses Wasser war vermutlich wärmer als heute und nahm alle möglichen organischen Substanzen auf, die Asteroiden und Kometen mit sich führten.
Wasser, Wärme und organische Substanzen. Eigentlich ist der Baukasten der Evolution damit komplett. Was also tat sich auf Europa, als die Oberfläche vollständig zu vereisen begann?
In unserer Antarktis liegt ein See, in den niemand springen kann. Nicht, weil er so kalt ist. Der Wostok-See liegt in einer Tiefe von vier Kilometern unter Eis. Trotz der niedrigen Wassertemperatur von minus drei Grad Celsius friert er nicht bis auf den Grund zu, weil der Eispanzer enormen Druck erzeugt. Lange glaubte man, das riesige Gewässer (mit 250 Kilometern Länge etwa so groß wie der Lake Ontario) habe nie die Sonne gesehen, sondern verdanke seine Existenz einzig geothermischer Aktivität. Danach schien es höchst unwahrscheinlich, im Wostok-See Leben zu finden.
Neuen Theorien zufolge ist der Wostok-See jedoch erst vor einigen Millionen Jahren, womöglich erst vor ein paar hunderttausend Jahren zugefroren. Es können also allerlei Sporen des Lebens hineingelangt sein. Bohrungen im Eis und Wasserproben brachten schließlich die Bestätigung: Dort unten existiert Leben! Primitiv zwar und einzellig, aber immerhin. Den schlammigen Grund zu erforschen gestaltet sich als schwierig und aufwändig, doch vermuten Forscher darin Bakterienkulturen, die Millionen von Jahren alt sein könnten.
Seit der Beweis erbracht ist, dass in einem hermetisch abgeschlossenen Gewässer Lebensgemeinschaften existieren, richten sich die Blicke der Exobiologen einmal mehr auf Europa. Eine illustre Riege angesehener Experten hält die Entstehung von Leben auf dem Jupiter-Mond für durchaus möglich. Einerseits dehnen und stauchen Jupiters Gezeitenkräfte Europa und kneten ihn regelrecht durch, was der Durchmischung des Wassers zuträglich ist. Andererseits wird es dadurch erwärmt. Es dehnt sich aus und bahnt sich seinen Weg durch die Bruchzonen
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