Nachrichten aus einem unbekannten Universum
nach oben. Als Folge könnten sich lebende Organismen dicht unter die Oberfläche angesiedelt haben.
Christopher Chyba, Professor am kalifornischen SETI-Institut für Exobiologie in Mountain View, sieht in Europa einen der aussichtsreichsten Kandidaten für Leben in unserem Sonnensystem. Skeptiker fragen natürlich, wovon sich dieses Leben im stockdunklen, eiskalten Ozean ernähren soll. Ihnen hält Chyba zwei Modelle entgegen. Zum einen könnten hochenergetische Teilchen, die im Magnetfeld des Jupiter aufgeladen und beschleunigt werden, die Eishülle Europas bombardieren und Moleküle der Oberfläche aufspalten, sodass molekularer Sauerstoff und Wasserstoffperoxid freigesetzt werden. Auf der Erde geschieht dies durch Photosynthese. Hier könnte das Produkt der Spaltung durch Bruchzonen ins Innere des Ozeans gelangen und als primäre Energiequelle genutzt werden. Das Modell funktioniert allerdings nur, wenn die Spalten quer durch den Eispanzer reichen, wofür es derzeit keine Beweise gibt. Vielmehr scheint es, als dringe ständig neuer Eisbrei nach und verbacke an der Oberfläche mit den Bruchkanten. Wenn überhaupt, wäre ein solcher Nährstofftransport nur in sehr langen Zeiträumen vorstellbar.
Macht aber nichts. Europa-Mikroben könnten ohne Murren und Magenknurren ein paar tausend Jahre auf ihr Essen warten. Wie wir wissen, sind Einzeller für Überraschungen gut. Manche verfallen für die Dauer einiger Jahrhunderte in eisige Starre, sind praktisch tot — doch sobald sich die Lebensbedingungen verbessern, kehrt Leben in sie zurück.
Chyba hat einen weiteren Weg der Energiegewinnung aufgezeigt. Angenommen, Europas Ozean verfügt über einen gewissen Salzgehalt — dann wird er auch das radioaktive Isotop Kalium-40 enthalten. Vielleicht reicht dessen Strahlung, um flüssiges Wasser zu spalten und auf diese Weise Sauerstoff und Wasserstoffperoxid zu isolieren. Auch im Eismantel dürfte das so ablaufen, wenngleich nicht im selben Ausmaß, wie es bei der Oberflächenbombardierung durch energetische Partikel geschieht. Zur Produktion von rund 10.000 Tonnen Biomasse jährlich müsste es allerdings reichen, schätzt Chyba. Nur ein Bruchteil dessen, was unsere Ozeane hergeben. In Europas Ozean dürfte die Dichte der Organismen also eher niedrig sein. Andererseits will Chyba nicht ausschließen, dass der freigesetzte Sauerstoff im Eisozean weit höher ausfällt als auf der Erde, was eine höhere Dichte wiederum begünstigen dürfte.
Allgemein geht unsere Vorstellung von Außerirdischen über sich selbst reproduzierende Kettenmoleküle hinaus. Hier allerdings winkt Chyba ab. Mit leinwandtauglichen Aliens kann und will er nicht dienen. Dafür hält er ein drittes Szenario bereit.
Wieder spielen die Bruchzonen eine Rolle, diesmal nicht als Transportwege ins Innere, sondern nach außen. Wasser steigt auf und gelangt bis dicht unter die Oberfläche der Kruste, vielleicht sogar bis ganz nach oben. Nun ist Europas Atmosphäre dünn wie Nachkriegskaffee. Im Wesentlichen besteht sie aus ein bisschen Sauerstoff. Dieser bleibt übrig, wenn das UV-Licht der fernen Sonne Eis an der Oberfläche kondensiert und der entstehende Wasserdampf von den besagten hoch energetischen Teilchen zertrümmert wird. Der frei gewordene Sauerstoff verbleibt im Schwerefeld Europas, der leichtere Wasserstoff verflüchtigt sich im All.
Im fast luftleeren Raum würde nun Eis verdampfen, sich verflüssigen, wieder gefrieren, verdampfen, sich verflüssigen, gefrieren, und so weiter. Die Bruchzonen wären von Wasserläufen durchzogen. Unablässig würde alles neu durchmischt, H2O, organische Substanzen. Moleküle, die zur Oberfläche fänden, würden vom UV-Licht geknackt, wodurch energiereiche Verbindungen entstünden. Photosynthese wäre hier gut möglich. Lebewesen könnten sich gar zu höherer Komplexität entfalten, lange Wurzeln ins Eis schlagen und mit winzigen Blättchen Photonen erhaschen. Wie wollen wir sie nennen? Blattlinge? Es gab schon dümmere Namen. Willkommen in Blattlinghausen.
Blattling wäre nicht gleich Blattling. Es gäbe festsitzende Blattlinge und solche, die im Wasser trieben oder sogar aktiv navigieren könnten. Miss Evolution sähe sich vor spannende Herausforderungen gestellt, denn Herr und Frau Blattling müssten lernen, auf Weltreise zu gehen. Europa rotiert. Sehr langsam zwar, aber immerhin auf eine Weise, dass es Jupiter nicht ständig dieselbe Seite zuwendet, wie wir es von unserem Mond gewohnt sind. Dies führt dazu,
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