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Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Titel: Nachrichten aus einem unbekannten Universum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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neues.
    Im offenen Ozean gab es damals nichts, was man hätte fressen können, weil die Nahrungskette nicht entsprechend ausgebildet war. Zwar schwebten Wolken aus Rot-, Grün- und Braunalgen durch die oberflächennahen Schichten, denen die Sonne als Energielieferant reichte, und frei schwebende Bakterien ließen sich mit der Strömung treiben, aber was nützte das einem Trilobiten oder Seeskorpion, der gern festen Boden unter den Beinchen hatte. Wahrscheinlich wäre der offene Ozean eine Öde geblieben, hätte einigen Graphtolithen nicht das Sitzfleisch gejuckt.
    Graphtolithen? Was ist das nun wieder?
    Das waren Tiere, die am ehesten den heutigen Korallenpolypen glichen. Die meiste Zeit ihrer Entwicklung hatten sie sesshaft in kleinen Wohnröhren verbracht, zusammengeschlossen in Kolonien. Nur diese Röhren sind uns überliefert. Im Gestein nehmen sie sich aus wie Buchstaben, was den Graphtolithen ihren Namen einbrachte. Zu Beginn des Ordoviziums begannen sich einige der Buchstabentierchen jedoch vom festen Untergrund zu lösen und hinaus ins offene Meer zu treiben, wo sie sich rapide vermehrten. Offenbar lebten sie von den dortigen Algen und Einzellern ganz ordentlich, die sie mit Hilfe winziger Extremitäten aus dem Wasser filterten, jedenfalls gelten die Graphtolithen als Urplankton. Nicht nur, dass sie einen völlig neuen Lebensraum erschlossen — sie öffneten die ozeanische Wüste zugleich für größere Lebewesen, die sich von Plankton ernährten. Das komplette Hochseeleben verdankt sich dem Plankton, ohne das komplexe Ernährungsgeflechte undenkbar wären. Für Wale zum Beispiel ist es so etwas wie Kartoffelchips, nur viel gesünder.
    Im Ordovizium treten die ersten Muscheln auf, nicht zu verwechseln mit Brachiopoden, die zwar wie Muscheln aussehen, aber keine sind. Achten Sie mal drauf am Nordseestrand. Wenn Sie zwei konventionelle Autotüren miteinander verbinden, erhalten Sie eine Muschel — das Scharnier sitzt seitlich. Hingegen ist ein Brachiopode so etwas wie ein Mercedes Benz 300 SL der Meere. Sein Scharnier befindet sich oben, am Schalenkopf. Das auffälligste Unterscheidungsmerkmal der Brachiopoden zu den Muscheln ist jedoch ihr fleischiger Fuß, mit dem sie am Meeresboden oder am Riff verankert sind. Den strecken sie mutig nach draußen, während Muscheln alles hübsch unter Verschluss halten.
    Auch die Korallen hatten im Ordovizium ihren großen Auftritt und bildeten riesige Riffe, in denen sich vielschichtige Lebensgemeinschaften ansiedelten. Fische ließen sich immer häufiger blicken, wenngleich sie noch keine Kiefer besaßen und darum Agnathen genannt werden, Kieferlose, die dicht am Boden blieben und schüchtern im Schlamm wuselten, nicht im Geringsten ahnend, welch überragende Rolle ihre bekieferten Nachfahren einmal spielen sollten. Vielleicht hatten sie auch Minderwertigkeitskomplexe angesichts der Riesen, die über sie hinwegzogen und herablassend mit Armen wedelten, die verblüffenderweise dem Kopf entwuchsen. Diese Kopffüßer waren die heimlichen Könige des Ordoviziums, gefürchtet wie alle Monarchen, und natürlich trugen sie ganz monarchisch eine Krone auf dem runden Schädel. Eine bis zu acht Meter lange, um genau zu sein. Nur diese Kronen sind von ihnen geblieben. Insignien pflegen ihre Träger zu überdauern.
    Als man die versteinerten Kalkröhren erstmals fand, wusste man nichts Rechtes damit anzufangen. Erst mit den Jahren wurde klar, dass in den meterlangen, spitz zulaufenden Gehäusen Tintenfische gelebt hatten. Stellen Sie sich einen Kalmar oder Kraken vor, der über seinen riesigen Augen eine bizarr in die Länge gezogene Mainzelmännchen-Mütze trägt. Klingt drollig, nur dass paläozoische Mainzelmännchen riesig und äußerst gefräßig waren. Andere Kopffüßer jener Zeit trugen ihre Gehäuse dafür modisch gerollt und gezwirbelt, sehr schick und kreativ. Eindeutig hat sich Miss Evolution hier zur Haute Couture hinreißen lassen, und ganz mochte sie die vielarmigen Mützenmodels denn auch nicht aussterben lassen. Heute begegnet uns der Tintenfisch als solcher eher unbemützt, bloß der Nautilus hat sich als lebendes Fossil erhalten und tut sich vor der Küste Südafrikas wichtig — an anderer Stelle mehr zu diesem nicht ganz zeitgemäßen Zeitgenossen.
    Es hätte so schön weitergehen können nach den wilden Jahren im Kambrium.
    Doch am Übergang vom Ordovizium zum Silur wird wieder massenhaft gestorben, weil die Heizung ausfällt. Vor rund 440 Millionen Jahren hat

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