Nachrichten aus einem unbekannten Universum
beschreibt: Es besagt, dass sich die Anzahl der Transistoren auf einem integrierten Schaltkreis alle zwei Jahre verdoppelt, damit also auch die Arbeitsgeschwindigkeit — so lange jedenfalls, bis die Isolationsschichten der Transistoren nur noch wenige Atome dick sind. Dann wird die Entwicklung einen anderen Verlauf nehmen, möglicherweise hin zum Quantencomputer, und ein anderer Exponent wird den technologischen Fortschritt bestimmen.
Ganz sicher würden Wesen, die in einigen hundert Millionen Jahren unsere Geschichte studieren, alleine die Entwicklung des Internets als technologische Explosion deuten — und sich fragen, wie nach über sechs Millionen Jahren Menschheitsentwicklung in so kurzer Zeit ein derart gewaltiger Sprung nach vorne erfolgen konnte. Nicht anders dürfte es sich mit der Kambrischen Explosion verhalten. Zeiträume spielten da überhaupt keine Rolle, nur veränderte Umweltbedingungen und daraus erwachsende Exponenten. Das Wettrüsten der kambrischen Fauna vollzog sich mit der gleichen Konsequenz und Schnelligkeit wie die atomare Aufrüstung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wir erinnern uns: Wer stehen bleibt, hat verloren.
Erwiesen ist, dass mit dem Kambrium sämtliche modernen Tierstämme und deren Untergruppen die Weltbühne betraten, und dass alle Baupläne für kommende Wesen in dieser Zeit entwickelt wurden. Wissen Sie noch? Jeder Mensch sollte ein Bild von Haiko- uella im Fotoalbum aufbewahren. Mitte der Neunziger entdeckten chinesische Wissenschaftler Überreste dieses wurstigen Tierchens in Chengjiang. Sie fanden etwas, das an die Adernstruktur von Blättern erinnerte. Offenbar hatte es den Körper des Lebewesens von innen gestützt: das erste Endoskelett! Myomere, muskelähnliche Segmente, waren hintereinander aufgereiht und ergaben eine zentrale »Chorda dorsalis«, die früheste Form der Wirbelsäule. Das Tier hatte auch eine Rückenflosse besessen, die der Chorda entsprang, sechs Paar filigrane Kiemen, Herz und Aorta, sogar ein Gehirn, das für den zierlichen Körper von beachtlicher Größe war. In der äußeren Erscheinung glich es einem Lanzettfischchen, das mit seinem runden Maul Plankton aus dem Wasser filterte.
Sehen Sie es vor sich? Sie dürfen ein Tränchen verdrücken: Es ist unser aller Urahn. Auch Ihrer.
Unsere fleißige Miss Evolution dürfte von nun an kein Auge mehr zugetan und sich in Überstunden erschöpft haben. Bis heute ackert sie wie besessen, ohne Pause. Wollen wir hoffen, dass sie nicht auf die Idee kommt, demnächst ihren ganzen angesammelten Urlaub auf einmal zu nehmen.
Heißkalt
Eitel ist das Leben und verräterisch. Oh ja, es will entdeckt werden! Zugleich gefällt es sich in Geheimniskrämerei. Über den Zeitpunkt des ersten Landgangs beispielsweise gehen die Meinungen auseinander. Fest steht, dass wir den Tag, an dem etwas Lebendes ans Gestade kroch, immer weiter zurückdatieren müssen. Lange Zeit galt, dass die Besiedelung der Kontinente vor rund 440 Millionen Jahren im Silur erfolgte, aber Geologie und Paläontologie folgen den Regeln einer Schnitzeljagd. An jedem neuen Hinweis muss der Status quo sich messen lassen, und oft verliert er über Nacht an Gültigkeit. Die Wissenschaft hat zähneknirschend akzeptieren müssen, dass jeder neue fossile Fund selbst das stabilste Faktengebäude zum Einsturz bringen kann. Auch dieses Buch erhebt keinen Anspruch auf die absolute Wahrheit, sondern versteht sich als Momentaufnahme des Jahres 2006. Wir haben gesehen, dass im Kambrium manches von Bedeutung erfunden wurde. Dazu gehören auch Beine und Augen. Schon im Ediacarium hatte es Lebensformen gegeben, die sich auf stummelförmigen Auswüchsen über den Meeresgrund schleppten und lichtempfindliche Zellen besaßen. Mit der Bildung von Hartschalen erfolgte die Ausformung komplexer, mehrgliedriger Fortbewegungsapparate. Beine erwiesen sich als ausgesprochen vielseitig. Man konnte seinem Mittagessen damit hinterherlaufen oder weglaufen, falls man selber das Mittagessen war. Auch widrigen Umwelteinflüssen ließ sich entkommen. Meist blieb dem Jagenden oder Flüchtenden wenig Zeit, also empfahlen sich möglichst viele Beine. Darum brachten es Trilobiten locker auf 15 Beinpaare; andere hatten noch mehr von den praktischen Stramplern.
Wie das so ist, wenn man Beine hat, geht man hierhin und dorthin. Beispielsweise interessiert man sich für Kanada. Weil das Interesse vor rund 500 Millionen Jahren aufkommt, ist Kanada natürlich noch nicht
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