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Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Titel: Nachrichten aus einem unbekannten Universum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Kanada, sondern der Sandstrand eines namenlosen Ozeans; allerdings wird man die Fußspuren der Landausflügler unweit des Lake Ontario finden, wo sie sich im Sandstein verewigt haben. So gut erhalten sind sie, dass sich mit einiger Wahrscheinlichkeit sogar bestimmen lässt, von wem sie stammen. Urkrebse sind hier ihrem Element entstiegen, so genannte Euthycarcinoide. Optisch erinnern die kleinen Pioniere an Kellerasseln mit Schwanz und ein paar Extrabeinen. Offenbar hat gleich eine ganze Schar von ihnen das Wasser fluchtartig verlassen. Jäger gab es im Meer genug. Durchaus möglich, dass die Eroberung des Festlands nicht ganz freiwillig erfolgte, zumal es dort wenig gab, was den Besuch lohnte. Dafür bot es Schutz vor Wesen, die für Landpartien nicht geeignet waren. Inzwischen gehen Forscher davon aus, dass Besuche auf dem Trockenen schon vor über 540 Millionen Jahren einsetzten. Aus dem späten Ordovizium datieren außerdem Funde frühester Landpflanzen — Gefäßpflanzen oder Moose, darüber ist man sich noch nicht ganz einig. Golfer hätten an der Vegetation kaum Freude gefunden, sie dürfte sich auf einige Felsen in Ufernähe beschränkt haben, überzogen von einer zarten, braungrünen Schicht. Indes sieht alles danach aus, als habe während des Ordoviziums der Siegeszug der Sporenpflanzen seinen Anfang genommen.
    Nachdem Miss Evolution im Kambrium so fleißig gewesen war, ging sie nun daran, ihr Werk zu verfeinern. Das Ordovizium begann vor 488 Millionen Jahren. Interessant ist, was man über das Klima dieser Periode zu lesen bekommt. In zwei Artikeln renommierter Fachzeitschriften habe ich folgende, völlig konträre Aussagen gefunden: »Das Ordovizium war eine der kältesten Zeiten der Erde« sowie »Das Klima war weltweit sehr warm, vielleicht sogar die wärmste Klimaepoche unseres Planeten«. Tatsächlich stimmt beides. In den 44 Millionen Jahren bis zum Einsetzen des Silur vor 444 Millionen Jahren war es so warm auf der Erde wie niemals wieder in späteren Perioden. Gegen Ende des Ordoviziums allerdings schlug das tropisch-feuchte Klima um, und es wurde wieder zum Bibbern kalt. Wenn Ökoromantiker vom Gleichgewicht der Natur sprechen, sind sie gut beraten, einen Blick auf die Skala der Erdzeitalter und die jeweiligen Großwetterlagen zu werfen. Die Natur ist alles, nur nicht im Gleichgewicht. Sie fällt von einem Extrem ins andere, und wie schon einmal führte der Kälteschock auch diesmal zum großen Artensterben.
    Während der warmen Periode hatte sich das Leben rapide weiterentwickelt, gediehen Schwämme, Nesseltiere, Quallen, Würmer, Armfüßer, Stachelhäuter, Lanzettfischlein und Krebse. Neue Baupläne wurden erprobt und führten zum vielleicht wichtigsten Ereignis im beginnenden Ordovizium: zur Inbesitznahme des offenen Ozeans.
    Moment mal. War der nicht längst besiedelt? Warum, wenn das Leben im Meer seinen Anfang genommen hat, durchwimmelte es nicht alle Gewässer, sondern vornehmlich die Küstenstreifen und Flachmeere?
    Ganz einfach. Angenommen, Sie wollen essen gehen. Auf der Suche nach einem guten Restaurant suchen Sie vielleicht die Innenstadt auf oder fahren ins nächste Dorf, aber Sie werden kaum die Sahara durchstreifen oder das antarktische Inlandeis. Ebenso verhielt es sich am Übergang zum Ordovizium. Küstennahe Riffs und vulkanische Schlote boten der frühen Fauna einen exzellenten gastronomischen Service; wen zog es da ins offene Meer? Was Mikroben verarbeiten konnten, fand sich reichlich an den Kontinentalabhängen, also siedelten dort Bakterien. Ganze Bakterienrasen dienten bodenlebenden Tieren als Nahrung, die wiederum von anderen Tieren gefressen wurden. Biotope sind wie Metropolen, sie verfügen über eine Infrastruktur, es gibt Bäcker und Metzger und Wohnhäuser und sogar ein Wellness-Center. Im Ernst: Viele der heutigen Meeresbewohner statten Riffs einen Besuch ab, um sich von speziellen Putzerfischen verwöhnen zu lassen — sogar kleine Zahnärzte finden sich darunter, die weit mehr Einsatz zeigen als ihre menschlichen Kollegen, denn unter Wasser begibt sich der komplette Zahnarzt in den Mund des Patienten und knabbert lästige Speisereste und Parasiten einfach weg. Ebenso wenig wie Köln, Paris oder Los Angeles ziellos das Land durchstreifen, verändern solche Biotope ihren Standort. Die Bewohner wären ja bescheuert, nicht da zu bleiben, wo es sich angenehm lebt. Erst wenn ein Biotop durch äußere Einflüsse zusammenbricht, suchen sich die Überlebenden ein

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