Nachrichten aus einem unbekannten Universum
hin und wieder einen Fischtag einzulegen.
Molekularbiologen und Morphologen liegen heute im Clinch, mit wem die Wale denn nun verwandt seien. Letztere betrachten eine Gruppe ausgestorbener Huftiere, die Mesonychier, als direkte Ahnen, die Molekularbiologen erkennen in zeitgenössischen Flusspferden waschechte Onkels und Tanten. Jüngere Knochenfunde aus Pakistan scheinen den Molekularbiologen Recht zu geben. Fest steht, dass sich auch die Urwale nicht aus einem einzigen Stamm, sondern mehrfach parallel entwickelt haben.
Das älteste Fossil, aus dem wir unsere Schlüsse ziehen, ist ein Stück Unterkiefer, dessen Besitzer vor 53,5 Millionen Jahren im südlichen Himalaya lebte, was der Kreatur den zungenbrecherischen Namen Himalayacetus subathuensis eintrug — Tote können sich nicht wehren. Ob der Himalaya-Wal aus der Subathu-Formation tatsächlich der Urahn aller Wale ist und der Familie des Pakicetus zuzurechnen, darüber gehen die Meinungen auseinander.
Auch Ambolucetus dürfte seiner Bezeichnung »Schwimmender Laufwal« mit Skepsis begegnet sein. Vermutlich trat Ambolucetus erst eine halbe Million Jahre nach Pakicetus auf, ist aber kein direkter Nachfahre, sondern eher ein Vetter. Mit vier Metern Länge machte er durchaus was her. Sein Äußeres gemahnt weniger an einen Wolf als vielmehr an den Glücksdrachen Fuchur nach Totalrasur — falls Sie Michael Endes Die unendliche Geschichte nicht gelesen haben, empfiehlt sich als Vergleich auch eine Kreuzung zwischen Otter und Krokodil. Wie ein Otter schwamm er, wie ein Krokodil lag er in der subtropischen Hitze am Rande seines Sees oder im flachen Wasser, sodass nur die hoch liegenden Augen über die Oberfläche ragten. Hier findet sich übrigens ein weiterer Grund für den Gang mancher Landbewohner ins Wasser. Nicht nur, dass sich der Speisezettel erweiterte, Wasser eröffnete auch ganz neue Möglichkeiten zur Tarnung.
Als potenzielle Beute des Ambolucetus hätten Sie seinem Gewässer ziemlich nahe kommen müssen. Für Verfolgungsjagden waren seine Watschelfüße nicht geeignet, viel zu lang und mit Schwimmhäuten ausgestattet. Dafür verbrachte er ein Leben in Kontemplation, wie geschaffen zum geduldigen Abwarten.
Er wartet auf Sie.
Gestern sind Sie mit einem Team Zeitreisender angekommen, eben haben Sie diesen See erreicht. Große Insekten ziehen — manche brummend, andere mit schneidendem Summen — übers glatte Wasser dahin. Im nahe gelegenen Dickicht ist eine Spinne emsig damit beschäftigt, einen unvorsichtigen Frosch in Fäden zu verpacken. Singvögel veranstalten ein prächtiges Konzert in den Bäumen. Ein paar kleine Antilopen streunen umher und haben den Angriff des riesigen Laufvogels Gastornis fast schon wieder vergessen, dessen beilartiger Schnabel eben erst einem der ihren das Rückgrat gebrochen hat. Alle sind geschäftig unterwegs, nur Ambolucetus lauert reglos halb im Wasser, halb im hohen Uferschilf verborgen. Ein dünner Dunstfilm zieht über die Wasserfläche dahin, es riecht nach fauliger Vegetation. Ihnen ist schrecklich heiß. Den ganzen Vormittag ist Ihre Expedition schon unterwegs, und allmählich lässt Ihre Aufmerksamkeit nach. Sie sehen den Amboluce- tus nicht.
Er sieht Sie ebenso wenig.
Noch sind Sie zu weit entfernt. Aber dafür kann er Sie hören, obwohl Sie sich alle Mühe geben, leise aufzutreten. Den Unterkiefer an den Boden geschmiegt, registriert er jede noch so kleine Erschütterung. Ihre Schritte sind für ihn, als würden Sie laut grölend Polka tanzen. Das Braun seines kurzen Otterfells verschmilzt mit dem Schlamm, sodass Sie ihn nicht einmal wahrnehmen, als Sie fast schon über ihn stolpern. Die dunkle Nase mit den Tasthaaren zittert, saugt Ihren Geruch in sich hinein. Noch einen Meter, und Sie sind ihm nah genug, dass er sich mit einem gewaltigen Satz nach vorne katapultieren, Sie ergreifen und in den See ziehen kann, wo er Sie so lange unter Wasser halten wird, bis Sie mit der Zappelei aufhören. Zum Verzehr bringt er Sie dann wieder aufs Trockene, so viel gutes Benehmen schuldet er dem Landsäugetier in sich.
Doch just im Moment, da sein Körper sich spannt und er alle Kraft versammelt zum großen Sprung, ruft der Expeditionsleiter zur Kaffeepause.
Dankbar folgen Sie der Einladung, stapfen in Gegenrichtung davon, ohne mitzubekommen, wie sich ein frustrierter Ambolucetus nach vorne wirft und mit dem Kinn in den Schlamm klatscht, mitten hinein in Ihre Fußspuren. Als Sie sich noch einmal umdrehen, ist er mit einer
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