Nachrichten aus einem unbekannten Universum
wahrnehmbar in der Ferne, ragt ein Plateau kegelförmig aus der Ebene. Sie stehen und starren und staunen und fragen sich, wer da über Nacht den Stöpsel gezogen hat. Als Sie sich umdrehen, ist Ihr Hotel verschwunden. Keine Spur von Zivilisation mehr, nur noch wuchernde Landschaft, nervöses Sirren von Insekten, Rascheln im Unterholz. Eine erbarmungslose Sonne brennt auf Sie herab, und Sie bekommen große Angst.
Verzeihung. Ich habe mir erlaubt, Sie fünf Millionen Jahre in die Vergangenheit zu entführen.
Dass Lebensformen gehen, wie sie gekommen sind, ist nichts Neues. Aber die Geschichte der Meere ist nicht nur eine Chronik des Werdens und Vergehens von Leben. Auch komplette Meere können verschwinden. Sei es, dass sich Landmassen aufeinander zubewegen und sich schließen, oder aber, dass die Meere einfach verdunsten. Die Geschichte des Mittelmeers beispielsweise ist die Geschichte der Tethys. Der riesige Ozean, der zu Beginn des Mesozoikums Laurasia und Gondwana im Osten Pangäas trennte, war durch die Kontinentalbewegungen immer mehr eingeschnürt worden und zuletzt in Rudimente seiner selbst zerfallen. Alpen und Atlasgebirge nahmen ihre heutige Form an. Spätestens als sich der Vordere Orient, Afrika und Indien zusammenschlossen, hatte die Tethys in ihrer ursprünglichen Ausdehnung aufgehört zu existieren. Geblieben war ein Meer zwischen einem Europa, das dem heutigen bereits zum Verwechseln ähnlich sah, und der afrikanischen Nordküste. Im Westen grenzten zwei Landspitzen aneinander und schufen die Straße von Gibraltar. Der Boden des Mittelmeers unterlag ständigem Gezerre, er wurde verschluckt, gestaucht, auseinander gerissen, bis sich die Meerenge zwischen Marokko und Spanien vorübergehend schloss und das Überbleibsel der Tethys vom Atlantik trennte.
1985 entdeckte Henri Cosquer, ein Berufstaucher aus Cassis, vor Marseille in 37 Metern Tiefe den Zugang zu einer Grotte. Er schwamm hinein und stellte fest, dass die Höhle im Inneren anstieg. Höhlentauchen ist eine riskante Angelegenheit. Mitte der Neunziger hatte ich Gelegenheit, in Yucatan ein labyrinthisches System von Tropfsteinhöhlen zu erkunden, die sich kilometerweit ins Landesinnere hineinziehen. In Abständen öffnen sie sich zu Kuppeln, die einzigen Plätze, an denen man auftauchen kann. Die Stimmung dort ist unbeschreiblich. Sonnenlicht bricht von oben durchs Erdreich und wirft Lanzen aus Licht ins Wasser. Die Kuppeln dienen Scharen von Fledermäusen als Wohnsitz, die von der Decke hängen und sich um prustende und schwatzende Taucher nicht groß kümmern. Man hat das Gefühl, durch geschliffenes Glas zu treiben.
Meist allerdings durchschwimmt man Korridore, in denen das einzige Licht von der Helmlampe stammt, deren Kegel bizarre Skulpturen aus der Dunkelheit zaubert, Kathedralen aus Tropfstein. Mit sachten Flossenschlägen lässt man sich treiben, immer darauf bedacht, nirgendwo hängen zu bleiben. Höhlenpioniere haben die Wege des verzweigten Systems mit farbigen Nylonschnüren markiert, denen man folgen kann, aber dafür muss man sie natürlich sehen. Ergo ist der Alptraum des Höhlentauchers das Verlöschen seiner Lampe. Ohne Licht bleibt allenfalls die Möglichkeit, sich an den Schnüren entlangzuhangeln, doch wer sie verfehlt — oder wenn gar eine reißt —, wird den Ausstieg nur mit unverschämtem Glück finden. Die einzige Chance ist dann, in eine der nahe gelegenen Kuppeln zu gelangen und zu warten, bis die Suchtrupps kommen.
Damals waren wir zu dritt, ein Indio, der uns führte, ein junger Kanadier und ich. Nach zwei Stunden — wir hatten längst den Rückweg angetreten — erlosch urplötzlich die Lampe des Kanadiers, der einige Meter hinter uns geblieben war, um Fotos zu schießen. Um ihn herum wurde es stockdunkel. Nachdem seine Augen sich umgewöhnt hatten, nahm er uns natürlich wahr, aber bis dahin war er schon in Panik verfallen und versuchte, aufzusteigen. Doch da war nichts, um aufzusteigen. Wir befanden uns in einem komplett mit Wasser gefüllten Korridor. Er stieß gegen die Decke und begann zu hyperventilieren und um sich zu schlagen. Mit vereinten Kräften haben wir ihn schließlich beruhigt, und der Indio wechselte die Lampe aus. Danach hielten wir uns nicht länger mit Sightseeing auf, sondern sahen zu, dass wir den Ausstieg erreichten.
Henri Cosquer war also ein mutiger Mann, als er 1985 die Höhle erforschte, denn dort gab es keine Schnüre zur Orientierung. Sie führte 150 Meter tief ins Innere, eher ein
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