Nachrichten aus einem unbekannten Universum
enger Schlauch, und endete in einer Grotte, die zur Hälfte mit Wasser gefüllt war.
Cosquer ging mit entsprechender Vorsicht zu Werke und besuchte die Höhle immer wieder. Gründlich und langsam arbeitete er sich voran, erforschte den gewundenen Gang und die angrenzende Kammer, ohne anfangs zu erkennen, worauf er da eigentlich gestoßen war. Ganze sechs Jahre später erst enthüllte das Blitzlicht seiner Kamera Handabdrücke, Spuren von lehmverschmierten Fingern und Zeichnungen. Jemand hatte Pferde an die Felswände gemalt, Hirsche und Steinböcke und etwas, das sich nicht eindeutig erkennen ließ und einer Kreuzung aus Pinguin und Robbe glich. Cosquer war auf eine Ausstellungshalle steinzeitlicher Künstler gestoßen, die sich dort vor 27.000 Jahren und später noch einmal, vor 8.000 Jahren, verewigt hatten. Insgesamt 125 Bilder, teils Kohlezeichnungen, teils in den Fels geritzt, ließen eine Periode lebendig werden, die vor der letzten Vereisung begonnen hatte. Cosquer folgerte daraus, dass es noch weitere Kunstwerke gegeben hatte, die dem Wasser zum Opfer gefallen waren.
Die Konsequenz drängte sich auf: Als die Höhle bewohnt gewesen war, musste man sie trockenen Fußes erreicht haben. Untersuchungen von Gesteinsproben und Bohrkernen ergaben, dass die Küste damals rund zehn Kilometer weiter ins Meer geragt und dass der Meeresspiegel rund 120 Meter tiefer gelegen hatte als heute. Offenbar war der Wasserstand des Mittelmeeres starken Schwankungen unterworfen gewesen.
1970 förderte das Forschungsschiff Glomar Challenger Bohrkerne aus dem Algerisch-Provenzalischen Becken, die erahnen ließen, wie weit solche Schwankungen gingen. Salz- und Gipsschichten von zwei bis drei Kilometern Dicke waren darin auszumachen, eindeutige Indizien, dass unser liebstes Urlaubsmeer nicht nur verschiedentlich abgesunken und wieder angestiegen, sondern einige Male komplett ausgetrocknet war.
Der Grund lag in seiner Abgeschiedenheit, im Fehlen großer zirkularer Strömungssysteme, die einen ständigen Wasseraustausch garantierten. Einzig über die Straße von Gibraltar wurde und wird es mit frischem Wasser versorgt, eine atlantische Spende, auf die es dringend angewiesen ist. Denn seine Oberfläche verdampft im mediterranen Klima, und weil das Salz nicht mit verdunstet, wird das verbleibende Wasser schwerer und sackt ab. Der Atlantik füllt das Defizit aus, doch schlösse sich die Straße von Gibraltar, sänke der Meeresspiegel immer tiefer, das Wasser würde immer salziger, und in 2.000 Jahren wäre nichts geblieben als eine von Lakeseen durchzogene Wüstenei, aus der Inseln wie Korsika und Sardinien kilometerhoch in den Himmel ragten. Die steile Gebirgsfront im Nordwesten, die Sie von Ihrem erhöhten Standort aus sehen, ist natürlich die südfranzösische Küste. Nizza und Cannes endeten als abgelegene Bergdörfer, und die Strände der Balearen würden geschlossen, weil die Inselgruppe allenfalls noch das Interesse Reinhold Messners auf sich zöge.
Ja, schauen Sie genauer hin. Der ferne Felskegel, das ist Mallorca. Der einsamste Ballermann der Welt.
Waren vordem Flüsse vom Festland ins Meer geflossen, stürzten sie nun als gewaltige Wasserfälle nach unten und schnitten tiefe Canyons in die Abhänge, bevor auch sie verdunsteten. So gelangten unterschiedliche Sedimente in die Salzwüste, bunt gefärbter Schwemmsand, Humus und Geröll. Mit der Zeit siedelten sich widerstandsfähige Pflanzen an, einige Tiere stiegen in die Ebene hinab und bevölkerten den Grund des verschwundenen Meeres, aber lebensfreundlich konnte man die Umstände nicht nennen. Tatsächlich ging die Austrocknung mit einem großen Artensterben einher, weil alles, was schwamm, plötzlich auf dem Trockenen lag. So ist eine Sedimentschicht in den Bohrkernen der Glomar Challenger fast vollständig aus den Überresten planktonischer Einzeller gebildet.
Dem deutschen Science-Fiction-Autor Wolfgang Jeschke hat das Szenario als Vorlage für einen klugen Roman gedient. Denn unter dem Meeresboden liegen ausgedehnte Ölreserven. Bei Jeschke reisen amerikanische Soldaten per Zeitmaschine zurück ins Pliozän, um dieses Öl mit gigantischen Pipelines aufs europäische Festland zu pumpen. Dummerweise sind die Araber auf ähnliche Ideen gekommen, was zum vorzeitlichen Nuklearabtausch führt und die Entwicklung der Menschheit in alternative Bahnen lenkt. Zu den Kabinettstücken des Buchs gehört schließlich, dass eine der verfeindeten Parteien darangeht, die zugewachsene
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