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Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Titel: Nachrichten aus einem unbekannten Universum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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gespreizten Flossen kopulierte. Hatte der Hai einmal die Fährte aufgenommen, gab es kaum mehr ein Entrinnen. War der Rufer gar verletzt, führte sein einzigartiger Geruchssinn den Megalodon untrüglich ans Ziel, geleitet von winzigen Blutspuren. Dann begann sein Schädel gleichmäßig zu pendeln, nach links, nach rechts, immer abwechselnd, und er folgte der Richtung, aus der die intensiveren Düfte kamen. Ein einziges Blutmolekül auf 1,5 Millionen Wassermoleküle reichte ihm, die Spur nicht wieder zu verlieren.
    Doch selbst, wenn das Tier nicht blutete, konnte er sich an dessen Ausscheidungen orientieren. Nervöse Fische geben einen Stoff von sich, den der Megalodon liebte. Er kündete von Furcht, Furcht von Unterlegenheit, und wer unterlag, gab die nächste Mahlzeit ab. Hingegen hasste er den Hautgout verwesender Artgenossen. Ein Gestank indes, den er früher oder später selbst verströmen würde, doch noch war es nicht so weit.
    Noch war der Megalodon ungeschlagen.
    Seine elektrischen Sinne verrieten ihm, dass er sich dem Küstenstreifen näherte. Eine Region, die er nicht sonderlich schätzte. Seine Welt war das tiefe, offene Meer; erst unterhalb von 100 Metern fühlte er sich zu Hause. Andererseits empfing er plötzlich ein Konzert von Schwingungen, dessen Orchestrierung Bilder in seinem Kopf erzeugte. Ein Riff erstreckte sich dort hinten, reich an Leben. Ganze Fischschwärme machten auf sich aufmerksam, zudem trieben sich größere Tiere am Riff herum, deren Bewegungsmuster sie als Jäger auswiesen. Fiepende Laute drangen an sein Ohr. Die Jäger kommunizierten. Es mussten Wale sein.
    Jetzt nahmen seine Nüstern auch den Geruch wahr, der ihn magisch anzog, das Odeur frischen Blutes — homöopathische Spuren nur, aber sie genügten, um sein inneres Navigationssystem zu aktivieren: Halten Sie sich links, am nächsten Riffsockel rechts abbiegen, weiter geradeaus, dann hinter der Korallenbank wenden, Sie haben Ihr Ziel erreicht.
    Dieses Ziel war der Lebensraum unzähliger Spezies. Aus der Düsternis emporstrebend, näherte sich der Megalodon einer Steilwand, deren Oberkante ein Plateau begrenzte. Knapp 15 Meter unter der Wasseroberfläche erstreckten sich dort Rifflandschaften, die erst viele Kilometer weiter ans Festland grenzten. Solche Meere waren rar, nachdem die Polkappen sich ausgedehnt und Meerwasser in Gletschern gebunden hatten. An der Grenze vom Pliozän zum Pleistozän, vor über zwei Millionen Jahren, war es wieder kalt geworden auf der Erde. Weltweit hatte sich der Meeresspiegel abgesenkt, wie es immer geschah in Zeitaltern der Vereisung, während ein strahlend weißer, kilometerdicker Panzer über Gebirge und Hochländer kroch, trockene polare Wüsten vor sich herschob und das wärmende Sonnenlicht zurück ins All warf. Auch die See hatte sich entsprechend abgekühlt. Selbst in Äquatornähe betrug die Temperatur im Schnitt nur 5 bis 10 Grad, aber es war der einzige Lebensraum, der verblieben war, und wo sich alles drängte.
    Dafür hatte das Eis den größten Teil der Südpolarbewohner ausgelöscht, als es auf seinem Vormarsch den Ozeanboden planierte. Die meisten dort ansässigen Schwämme, Seesterne und andere Wirbellose pflanzten sich nicht im freien Wasser fort, sie vollzogen den Generationenwandel am Meeresgrund, der unter der kriechenden Walze aus Eis verschwunden war. Mit dem Eis gelangten Sedimentlawinen in die Tiefe und erstickten alles Leben. Seesterne besaßen zwar reichlich Arme und zahlreiche winzige Füßchen, aber keine Beine und Flossen, um rasch in weniger gefährdete Gebiete umzuziehen.
    Hinzu kam, dass, wer in arktischer Kälte lebt, nicht eben zu großer Eile neigt. Arktische Haarsterne etwa verdankten ihrem trödeligen Stoffwechsel eine zehn Mal höhere Lebenserwartung als ihre tropischen Vettern, hatten dafür aber weniger Sex. Die Kollegen vom Äquator sorgten einmal jährlich für Nachwuchs; der Stern, der aus der Kälte kam, brauchte zehn zähe Jahre, bis das Baby die Ärmchen reckte. Schon darum stand zu erwarten, dass die arktischen Gebiete nach dem Ende der Eiszeit nur sehr langsam wieder zur alten Bevölkerungsdichte zurückfänden. Manche Emigranten würden aus der Tiefsee zurückkehren, andere in der neuen Welt bleiben. Wann allerdings mit einem Abklingen der Kälte zu rechnen war, blieb offen — ohnehin kein Thema, über das Seesterne und Megalodons zu reflektieren pflegten.
    Den wenigsten war die Flucht in eisfreie Tiefen gelungen, als die Gletscher kamen. Doch

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