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Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Titel: Nachrichten aus einem unbekannten Universum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Paradiesen so ist. In den Apfel der Erkenntnis beißt kein Mensch aus freien Stücken, er wird ihm aufgedrängt. Die Schlange kennt kein Pardon. In diesem Fall kroch sie kalt und frostig aus den polaren Kühlhäusern herbei und zwang das Leben, sich zusammenzurotten und neue Strategien zu entwickeln. Spätestens als es ungemütlich wurde, ging König Megalodon seines Reiches verlustig. Zwar hatte ihn Miss Evolution mit der Fähigkeit zur Gigantothermie ausgestattet — wenngleich kein Warmblüter, konnte er seine Körpertemperatur auf ein höheres Level steigern als seine Umgebungstemperatur, was alle Großhaie aus der Familie der Makrelenhaie kennzeichnet, zu denen auch Megalodon gehörte. Er heizte sein Blut durch Muskelaktivität auf und gewann so an Behändigkeit. Doch derartige Stoffwechseltricks erfordern einen hohen energetischen Aufwand, und der kleinere Weiße Hai tat sich damit leichter als sein riesiger Vetter.
    Einmal mehr gewann das Eis die Oberhand. Mit ihm nähern wir uns einer Frage, die Sie sich vielleicht schon gestellt haben:
    Was genau ist eigentlich ein Erdzeitalter?
    Nach welchen Kriterien unterteilen Geologen und Paläontologen die Vergangenheit? Denn a priori ist die Zeit nicht segmentiert. Sie ist kein Theaterstück, in dem Anzahl und Dauer der Akte feststehen. Die Vorhänge wurden später eingefügt; man musste ihr dramaturgische Zäsuren aufzwingen, um sie beschreiben zu können. Wie also sind diese Skalen überhaupt entstanden?
    Grundsätzlich lässt sich die Frage schnell beantworten. Ein Erdzeitalter ist der Abschnitt zwischen zwei einschneidenden Vorkommnissen. Perioden relativer Ereignislosigkeit müssen nicht unterteilt werden. Mitunter, wenn uns Perioden zu lang erscheinen, versuchen wir weniger signifikante Ereignisse heranzuziehen, um sie zu segmentieren, etwa das Auftreten einer neuen Art, doch unterm Strich liest sich die geologische Skala als Chronologie der Katastrophen. Die meisten Zeitalter enden mit Heulen und Zähneklappern. Das Massensterben gegen Ende des Perm leitet nicht nur den Übergang zur Trias ein, sondern gleich auch zum Mesozoikum, dem Erdmittelalter. Der Untergang der Saurier und vieler anderer Spezies am Ende der Kreidezeit schließt dieses Kapitel ab und geleitet uns in Känozoikum. Klimawandel, Meteoriten, Tod und Verderben auf breiter Front fügen Schlusssätze ein und leiten über in neue, aufregende Kapitel. So beginnt vor zwei Millionen Jahren, als es wieder kalt wird, das Quartär, aufgeteilt ins Pleistozän, die Zeit der großen Vereisungen, und ins Holozän, den Abschnitt, der mit dem Ende der letzten großen Eiszeit vor 11.000 Jahren seinen Anfang nimmt und bis heute andauert.
    Halt, sagen jetzt einige, das stimmt so nicht. Das Quartär beginnt vor 1,9 Millionen Jahren. Nein, hört man dazwischenrufen, schon vor 2,3 Millionen Jahren, da nämlich begann das eigentliche Eiszeitalter. Papperlapapp, mäkeln Dritte, das hat viel früher eingesetzt, vor 2,6 Millionen Jahren. Und das Holozän fängt erst vor 10.000 und nicht vor 11.000 Jahren an, bis dahin ging nämlich die Eiszeit.
    Und alle, alle haben Recht.
    Ein Teil unserer Bildung ist die Einbildung, es genau zu wissen. Wenn Sie sich auf das Thema Geologie einlassen, werden Sie feststellen, dass annähernd jedes Zeitalter mit unterschiedlichem Beginn und Ende angegeben wird. Zwar gibt es eine offizielle, verbindliche Aufteilung, aber die gilt immer nur so lange, bis Bohrkerne und Fossilien neue Erkenntnisse bringen. Erinnern Sie sich an den Meteoriten am Ende der Kreidezeit und die vielen Meinungen dazu? Oder ans Ediacarium, das es erst seit kurzem gibt? Die Zeitskala ist in Bewegung. Nicht dramatisch, aber voller Randunschärfen. Darum sind die Wörter »ungefähr, circa« und »etwa« bei Geologen sehr beliebt und erfreuen sich häufigen Gebrauchs. Alles, was wir wissen, entnehmen wir Rekonstruktionen. Niemand war dabei, als der Trilobit entkam und der Megalodon starb. Geschichte ist die Wissenschaft der Annäherung. Lassen Sie sich nicht beeindrucken, wenn Sie auf einer Party voller Wissenschaftler ins Gerangel um Jahrhunderttausende geraten. Ob er nun vor 65 oder 65,5 Millionen Jahren aus den Latschen kippte, macht keinen Saurier lebendig. Ähnlich verhält es sich mit Aussagen über die Zeit, in der eine Spezies gelebt hat. Im Groben wissen wir’s. Aber der kleine Exkurs im Kapitel über die Handtasche der Evolution hat uns gezeigt, dass auch die Menschwerdung im Verlauf der letzten Jahre

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