Nachrichten aus einem unbekannten Universum
Carcharodon carcharias, dem Weißen Hai. Carcharodon bezeichnet die Familie der Haie im Allgemeinen. Heute wissen wir, dass der Weiße Hai auf eine eigenständige Entwicklung zurückblickt. Ausgestorbene Haiarten werden unter dem Oberbegriff Carcharocles zusammengefasst, korrekt spricht man also von Carcharocles megalodon: »Der mit den rauen, riesigen Zähnen«.
Weiße Haie waren es, die ihm, dem sterbenden Riesen, so zusetz- ten. Letztlich erwiesen sie sich als effizientere Jäger, außerdem übernahmen Zahnwale wie Orcas Aufgaben des Megalodon — die schwarzweißen Schwertwale lieben vor allem Kälber von Grau- und Buckelwalen, greifen aber auch schon mal einen ausgewachsenen Blau- oder Finnwal an. Bis zuletzt war der Megalodon unbesiegbar. Im Vollbesitz seiner Kräfte schlug er jeden Weißen Hai in die Flucht, und selbst in geschwächtem Zustand war nicht mit ihm zu spaßen. Aber der Weiße Hai hatte ein energiesparenderes Konzept auf seiner Seite, er war schneller, flexibler und im Ganzen moderner, was ihn an die Spitze der Nahrungskette stellte.
Auch der seltsame Wal mit dem rückwärts gebogenen Stoßzahn hatte im Speiseplan des Megalodon einen wichtigen Platz eingenommen. Odobenocetops leptodon, übersetzt »der Wal, der auf den Zähnen zu gehen scheint«, gehörte zur Familie der Walrosswale, die wie plumpe, schnurrbärtige Vorgänger heutiger Narwale und Weißwale anmuten. Sie erwiesen sich als ideale Beute für Weißhaie, die begannen, dem Megalodon sein Futter wegzufressen. Also starb er aus — ein weiterer König der Meere, der sich zu Tode regierte. Seine Regentschaft wird auf die Zeit vor 25 bis zehn Millionen Jahren datiert, allerdings hat man in jüngster Zeit Zähne aus dem Pazifik geborgen, deren Zustand Gerüchte schürt, er könne noch leben. Nicht auszuschließen ist, dass die allerletzten Megalodons bis zum Ende der Eiszeit vor rund 10.000 Jahren durchgehalten haben, eine Epoche, in der bereits schon Menschen die Meere überquerten. Möglicherweise irrt immer noch ein Nachzügler durch die Abyssale; auch den Quastenflosser wähnte man ausgestorben, bis er 1938 freudig wedelnd vor der südafrikanischen Küste auftauchte. Falls ja, empfiehlt es sich, den letzten Megalodon mit all den Drehbuchschreibern zu füttern, die bislang versucht haben, ihn aus dem Dunkel hervorzulocken, und ihm ansonsten zu raten, nicht weiter aufzufallen.
Das letzte Kapitel unserer Reise durch die Vergangenheit spielt, wie wir gesehen haben, in einem Zeitalter weiträumiger Vereisungen. Auch das muss man berücksichtigen, wenn man von Königen spricht. In Abwandlung einer Grundregel der psychologischen Verbrechensbekämpfung — »Willst du den Künstler verstehen, musst du sein Werk betrachten« — können wir feststellen: Willst du den König verstehen, musst du sein Reich betrachten. In ihm hat er sich etabliert. Was er ist, verdankt er den Umständen. Er wurde gewählt, übrigens auch von denen, die er verspeist. Sie haben ihm kraft ihres Vorhandenseins zur Regentschaft verholfen. Solange sich an seinem Umfeld und der Einstellung seiner Untertanen nichts ändert, bleibt er uneingeschränkter Herrscher. Verändern sich die Parameter, wackelt die Krone. Und Eiszeiten sind einschneidende Veränderungen. Der Megalodon hat die meiste Zeit seiner Existenz in gemäßigten Meeren gejagt, sein Reich war — zeitgeschichtlich betrachtet — das Obere Tertiär, also Miozän und Pliozän, die mit angenehmen Temperaturen zu gefallen wussten. Auch damals gab es schon Weiße Haie, aber die moderaten Lebensbedingungen rund um den Globus gestatteten beiden eine großzügige Koexistenz. Man kam einander nicht in die Quere. Für jeden war genug da. Vor allem das Pliozän gilt als nahezu paradiesisch. Nachdem sich die Ozeane geöffnet hatten und die Tethys bis auf einen kleinen Rest verschwunden war, zirkulierten die Meeresströmungen in veränderten Bahnen. Üppige Mengen Nährstoffe gelangten aus den Polarregionen überallhin, begünstigten die Ausbreitung von Plankton und schufen eine ergiebige Nahrungskette. Sämtliche Wale, wie wir sie heute kennen, entwickelten sich in diesen wenigen Millionen Jahren. An Land gediehen Regenwälder, wo heute Wüsten und Steppen vor sich hinstauben, ausgedehnte Savannen schufen Raum für riesige Herden, und inmitten des allgemeinen Wohlgefallens plumpste ein schnatterndes Äffchen vom Baum, rieb sich den Schlaf aus den Augen und beschloss, Mensch zu werden.
Aber wir wissen ja, wie das mit
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