Nachrichten aus einem unbekannten Universum
lösten und im freien Ozean trieben, waren sie auf elementare chemische Bausteine angewiesen. Immer wieder musste das Wasser durchmischt, mussten Mineralien von den Küsten gewaschen werden, um genügend Lebensenergie bereitzustellen — ein Prozess, der ohne Ebbe und Flut schwer vorstellbar ist.
Zweitens, so Comins, lastete vor der Begegnung mit Theia ein dicker und schwerer Mantel aus vulkanischem Kohlendioxid auf der Erde. Der Zusammenprall fegte einen Teil der giftigen Treibhausgase ins All, wodurch die Atmosphäre leichter wurde und den später frei werdenden Sauerstoff besser aufnehmen konnte. Ohne die Karambolage hätte es das Leben weit schwerer gehabt. Vorausgesetzt, die Photosynthese wäre unter solch erschwerten Bedingungen überhaupt entstanden, hätte die Atmosphäre dennoch nicht genügend Sauerstoff speichern können, um die Entwicklung großblättriger Photosynthese-Fabriken, sprich Landpflanzen, nachhaltig zu begünstigen.
Comins’ Theorie scheint von bestechender Klarheit. Die ungebremste Erde rotiert so schnell, dass ein Tag eben mal vier bis fünf Stunden dauert. Infolgedessen toben Monsterhurrikans über die Ozeane und Kontinente, ohne Unterlass. Hohe, steile Berge findet man auf Solon nicht, sie wurden von dem gnadenlosen Dauersturm längst abgeschliffen. Definitiv sind die Meere nicht befahrbar, 30 Meter hohe Wellen verbannen jeden Gedanken an Schifffahrt ins Abseits. Ruhebedürftigen ist Solon schon gar nicht zu empfehlen. In das Heulen und Brausen des Windes mischt sich das Donnern der Brandung, Sand und Gestein prasseln mit ohrenbetäubendem Lärm auf blanken Fels, noch übertönt vom trommelnden Dauerregen. Ebenso wenig könnte man Solon als Luftkurort empfehlen, schon aufgrund des geringen Sauerstoffgehalts, aber auch, weil man bei Windgeschwindigkeiten von mehreren hundert Stundenkilometern äußerst robuste Lungen braucht.
Dennoch könnte Solon Leben tragen, so Comins, auch höher entwickeltes. Nur sähe es ganz anders aus. Angenommen, Sie wären ein Solonit, dann hätten Ihre Vorfahren schon mal nicht von den Bäumen steigen können, weil auf Solon nichts in die Höhe wächst. Nur robuste, bodennahe Vegetation wie Flechten und Kriechgewächse, die ihre Pfahlwurzeln tief ins Erdreich treiben, widerstehen den Naturgewalten. Großflächige, zarte Blätter zerreißen. Vor ähnliche Probleme sehen sich Tiere und andere Lebewesen gestellt, die wir uns wie Kreationen aus dem Windkanal vorstellen müssen, nämlich flach und bodennah. Eine grazile Schönheit wie Scarlett O’Hara würde vom Winde verweht, ehe sie dreimal »Tara!« sagen könnte. Die solonitische Scarlett ist gedrungen, hat eine hornige, feste Haut und sechs oder acht muskulöse Beine mit kräftigen Krallen, um sich am Boden fest zu verankern. Damit würde sie Rhett Butler nicht freudig entgegenlaufen, sondern in Zeitlupe auf ihn zukriechen. Ein Blick in die Augen des Geliebten würde erfordern, mehrere Lider nacheinander spaltbreit zu öffnen, die als Schutz vor Sandstürmen dringend erforderlich wären. Und wenn er sie schließlich im Schneckentempo verlässt, hätte es wenig Sinn, ihm hinterherzurufen, weil es in all dem Lärm kaum zur Ausbildung von Sprache gekommen wäre — zumindest keiner Sprache, wie wir sie kennen. Vielleicht könnte der Scheidende »Frankly, my dear, I don’t give a damn« sagen, indem er eine durchdringende Frequenzfolge absondert, sagen wir in Ultraschall, die Scarletts Gehör aus dem allgegenwärtigen Donnern und Tosen herausfiltert. Eher stünde zu vermuten, dass sich Soloniten via Licht verständigen.
Die solonitische Scarlett würde einen robusten, langen Schwanz ausfahren, dessen Ende biolumineszierende Bakterien enthielte. Vielleicht hätte sie sogar mehrere solcher Extremitäten. Lichtsignale, wie Tiefseefische sie absondern, wären Dialogen zuträglicher, als sich die Seele aus dem gepanzerten Leib zu schreien. Intelligente Soloniten könnten so eine hochkomplexe Lichtsprache entwickelt haben. Je nach Region würde das Vokabular differieren, sodass Menschen, die mehrere Sprachen sprächen, sich rühmen dürften, ganz große Leuchten zu sein. Auch nächtliche Rendezvous wären kaum vorstellbar. Denn solonitische Nächte sind schwarz, pechschwarz. Kein strahlender Lampion überzieht die Erde mit silbrigem Licht, sieht man davon ab, dass ohnehin alles voller Wolken hängt.
Und wie sieht’s im Meer aus?
Nun, kein Landbewohner ohne marine Vielfalt. Zwar sind soloniti- sche Meere arm an
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