Nachspielzeit: Eine unvollendete Fußballkarriere (German Edition)
keine Gedanken. All das geriet in den Hintergrund, und ich nahm es nur noch in Phasen wahr, in denen das Spiel unterbrochen wurde. Nichts konnte mich ablenken. Da war nur meine Bewegung in ihrer reinsten Form, umgeben von wohltuender Stille. Sonst nichts. So ein fast schon himmlischer Zustand während des Spiels war mir nur selten vergönnt. Aber für genau dieses Gefühl, in dessen Obhut es unmöglich war, etwas falsch zu machen, lohnte es, sich jeden Tag aufs Neue den Hintern aufzureißen.
Mitte der zweiten Hälfte wurde ich nach indiskutabler Leistung frühzeitig ausgewechselt. Ich konnte nur noch den Kopf über mich selbst schütteln, fühlte mich dazu alleingelassen und voller Wut. Mein Vater holte mich vom Stadion ab und versuchte erst einmal, mich zu beruhigen und zu trösten. Zumindest das tat gut.
Parallel zu dieser Entwicklung musste ich tatenlos mit ansehen, wie mir nach und nach alle Felle davonschwammen, was meine Panik nicht gerade verringerte. Das ging nicht von heute auf morgen, sondern war ein schleichender, quälend langsamer Prozess. Als ob jemand eine kleine Nadel in meinen ganz persönlichen Fußball gesteckt hätte. Aus ihm entwich nun ganz langsam die Luft mit einem leisen Zischen. Anfang der Rückrunde waren etwa sieben bis acht Zweitligisten konkret an mir interessiert gewesen, genau weiß ich es gar nicht mehr. Wenn ich mir heute manchmal die Zweitligaspiele im Fernsehen ansehe, gibt es kaum eine Partie, in der nicht ein Verein spielt, der mich kurzzeitig mal verpflichten wollte. Selbst zwei Erstligisten hatten ernsthaftes Interesse bekundet, was mich fast vom Hocker haute, als ich es von meinem Berater erfuhr.
Der Haken war nur, dass ich jetzt auf der Bank saß. Und das Woche für Woche. Und vor allem in der entscheidenden Phase gegen Mitte und Ende der Rückrunde. In dieser Zeit sondieren die Clubs besonders gründlich den Spielermarkt und tätigen Verpflichtungen im Hinblick auf die neue Saison. Bei manchen unserer Heimspiele zwischen März und Mai hatte man den Eindruck, dass mehr Scouts als Fans auf der Tribüne im Grünwalderstadion saßen. Und genau in dieser Zeit stand ich nicht im Schaufenster, sondern nahm als ausrangiertes Modell zähneknirschend auf der Bank Platz.
Tristesse auf der Bank, mein Blick geht ins Leere.
Einmal war extra der Sportdirektor eines interessierten Erstligisten eingeflogen, nur um mich zu beobachten. Ich sah ihn beim Aufwärmen vom Platz aus auf der Tribüne sitzen.
Es ist nun mal so. Mancher hat in der entscheidenden Situation die nötige Prise Glück, mancher eben nicht. Doch genau diese feinen Nuancen entscheiden nicht selten darüber, ob du eine steile Karriere im Sport startest oder auf der Strecke bleibst. Das Leben spielt bekanntlich nicht im Konjunktiv. Doch ich werde mich wohl noch eine ganze Weile lang fragen, was gewesen wäre, wenn ich an diesem Tag eine gute Leistung gezeigt hätte. Oder überhaupt hätte zeigen dürfen. Ich kam keine Minute zum Einsatz.
Und das geht dann in dem Geschäft sehr schnell. Die Vereine denken sich logischerweise: Der spielt ja nicht mehr von Anfang an, so gut kann der ja eigentlich doch nicht sein. Dann telefonieren sie vielleicht noch mit deinem aktuellen Trainer, um mal nachzuhaken, und der ergießt sich auch nicht gerade in Lobeshymnen über einen Spieler, den er momentan nicht aufstellen will. Sogar ganz im Gegenteil, wie ich erfahren musste. So sprangen in unschöner Regelmäßigkeit alle Vereine nacheinander ab.
Bei jedem interessierten Club machst du dir schon im Vorfeld Gedanken über alles Mögliche. Du malst dir unweigerlich bereits dein Leben dort aus, holst Informationen ein über die Stadt und vielleicht sogar schon mögliche Wohngegenden, schaust, wie weit der Ort von deiner Heimat entfernt wäre, gehst den aktuellen Kader deiner möglichen neuen Kollegen durch, beschäftigst dich mit dem Trainer, dem jeweiligen Stadion und dem Zuschauerschnitt bei Heimspielen und vieles mehr. Im Laufe der Wochen verschwand eine interessante Option nach der anderen für mich. Eine Hoffnung nach der anderen auf eine erfolgreiche Zukunft in meinem Sport zerschlug sich und ließ mich immer ratloser und deprimierter zurück. Manch ein Verein verwies zumindest ehrlich auf seine Zweifel bezüglich meiner Qualität aufgrund meines neuesten Daseins auf der Reservebank, der nächste Club hatte plötzlich einen anderen Spieler auf dem Zettel und verpflichtete lieber diesen, wieder ein anderer meldete sich einfach gar
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