Nacht der Dämonen
Könnt Ihr es auch lesen?«
»Nur mit großer Mühe. Die Schrift unterscheidet sich beachtlich von der hyrkanischen.«
»Nun gut, dann werde ich es Euch vorlesen. Hört zu.« Saureb breitete die Rolle aus, überflog einige Zeilen etwa in der Mitte, und begann laut zu lesen:
»Wenn ein Krieger kommt, weit vom Norden her,
mit langen Haaren wie rote flammen,
werden die Berge dröhnen wie Trommeln schwer.
Ein Weib wird nennen den einen Namen.
Ein Feuer wird brennen,
wenn die vom Erdvolk rennen
zurück zur Hölle, aus der sie kamen.«
Sonja spürte, wie ein Schauder über ihren Rücken rann. »Saureb – ich kam vom Norden her. Meint Ihr …«
Der Zauberer antwortete nicht.
»Aber – das ist doch Unsinn! Haben die Berge gedröhnt? Bin ich das Weib, das einen Namen nennen wird? Wessen Namen? Glaubte Tiamu deshalb …«
»Ja, Sonja – und nicht nur Tiamu. Viele in Elkad fragten sich, ob Eure Ankunft in der Stadt der Auftakt zur Erfüllung der Prophezeiung sei. Das war der Hauptgrund, weshalb man Euch in den Kerker warf, glaube ich – damit das Volk sich nicht der Hoffnung hingebe, frei von der Unterdrückung durch die Priester zu werden. Aber die Gefahr, dass es sich erheben würde, bestand kaum; dazu lebte es zu lange in Knechtschaft. Doch grausame Herrscher fürchten sich immer davor.«
Wieder erschauderte Sonja. »Dieses Tal ist ein Ort des Bösen, Saureb – ich habe es von Anfang an gefühlt. Ich hätte nicht hierherkommen sollen, und ich weigere mich, mich in irgendeine Prophezeiung verwickeln zu lassen.«
»Tut, was Ihr meint, Rote Sonja – doch was immer es auch ist, es wird sein, was das Schicksal Euch bestimmt hat.«
»Ich werde im Morgengrauen aufbrechen«, erklärte Sonja. »Ich wäre jetzt schon fort, wenn nicht Tiamu gekommen wäre. Ich muss mich beeilen.«
»Dieses Hauptmann Keldums wegen?«
Sonja zögerte. »Ja.«
»Es ist zu spät, Sonja.«
Sonjas Stimme wurde scharf. »Was soll das heißen?«
»Er ist schon unterwegs mit einem Trupp. Er verfolgt Eure Fährte im Mondschein und mit Fackellicht. Er hat Hefei, die Herrscherin der Stadt, bei sich. Als der Zamorier dieses Kind schändete, erfuhr er, in welche Richtung Ihr geritten seid. Diesen Nachmittag brach er auf und kommt bereits auf die Berge zu, denn er fürchtet diese Gegend nicht wie die Menschen von Elkad. Zweifellos wird er diese Höhle und uns alle finden.«
Sonja schwieg, doch ihr Gesicht war zu einer Maske der Qual und des Hasses verzerrt. »Je schneller ich aufbreche, desto besser«, entgegnete sie schließlich. »Ich hatte gehofft, Tiamu mitnehmen zu können, doch ich kann sie nicht solchen Anstrengungen und Gefahren aussetzen.«
»All dem war und ist sie bereits ausgesetzt.«
Sonja lächelte schief. »Auch Ihr sollt nicht durch mich in Gefahr geraten, teurer Saureb. Ich verschwinde also sofort …«
»Zweifellos werden sie hierher finden, ob du bleibst oder nicht, Sonja von Hyrkanien.«
Sonja blickte ihn erstaunt an. »Was wollt Ihr damit andeuten?«
Er zuckte die Schulter. »Es wird Euch nicht helfen, in die Nacht hinauszureiten, nun, da Keldum und sein Trupp bereits den Berg hochkommen. Es wäre auch nicht richtig von Euch, das junge Mädchen alleinzulassen. Beide seid Ihr hier sicher. Meine Behausung lässt sich durchaus verteidigen.«
»Ja – wenn wir mehr wären …«
Saureb trat ohne zu antworten am Feuer vorbei zum Höhleneingang und schaute hinaus.
»Komm, o Symbol für alles, was ich verachte!« hörte Sonja ihn in der Dunkelheit murmeln. »Komm, Keldum, Verkörperung dessen, was ich am menschlichen Geist am meisten verabscheue. Komm, Krieger des Stahles und Blutes, der Heimtücke und des Gemetzels. Du sollst die Waffe meiner Zauberei kennen lernen!«
Er blieb an der Höhlenöffnung stehen, und Sonja blickte auf seinen Rücken. Schließlich hüstelte sie leicht und sagte: »Ihr wollt Euch für uns der Zauberei bedienen, Saureb? Ihr, der Ihr die Menschheit hasst?«
Der Zauberer blickte sie an. »Für euch?« Er wandte den Kopf wieder der Nacht zu und schüttelte ihn leicht. »Eher für mich selbst, Sonja. Sollen zwei Frauen, die einen Augenblick meinen Weg kreuzen, den Verlauf meines Geschicks verändern? Größere Kräfte ballen sich zusammen, als Ihr sie Euch vorstellen könnt. Ich bin, was ich bin, genau wie Keldum ist, was er ist. Nein, nicht für euch, sondern für mich.« Etwas leiser fuhr er fort, und mehr zu sich selbst: »Komm, du Krieger des Stahles und Blutes. Lerne die Waffe meiner
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