Nacht der Dämonen
mich verflucht! Er kam heute morgen in meine Kammer und er …«
»O Mitra .: .«
»Warum? Warum? Er nahm mich, er befleckte mich. Ich hatte leben wollen, das ergrimmte die Götter – und dann wollte ich sterben!«
»O Mitra!«
»Ich – ich – ich konnte mich seiner nicht erwehren – er schändete mich, und das hat er getan, weil ich die Götter erzürnte, weil ich …«
Sonja drückte das Mädchen an sich, versuchte es zu beruhigen. Ganz fest hielt sie Tiamu mit dem schmerzenden Mitgefühl eigener Erfahrung.
»Ich – ich – warum habe ich …?«
»Ruhig, Tiamu! Es war nicht deine Schuld, noch die der Götter. Die Götter scheren sich wenig um unser Tun.«
»Warum blieb ich am Leben, Sonja? Ich wollte sterben. Ich floh aus der Stadt. Sie würden mich töten, wenn sie es wüssten, denn dieser – dieser Mensch, dieser … O Sonja, es schmerzt mich so, dass ich immer noch leben will. Ich kam hierher, um zu sterben, aber ich kann nicht! Ich habe Angst!«
»Bitte, Tiamu, beruhige dich! Es ist alles in Ordnung. Du bist in Sicherheit, du lebst!«
Ich lebe! dachte Tiamu. Diese Erkenntnis wuchs als gewaltige Wahrheit in ihr und war so beruhigend wie der feste Laut ihres Schluchzens, wie die Umarmung Sonjas und die Wärme menschlichen Verstehens, die tiefer drang als die des Feuers. Ich wollte sterben, dachte sie, und nun hältst du mich bergend an der Brust.
»Du lebst, Tiamu«, sagte Sonja. Sie sagte es, so wie sie es für sich gedacht hatte, damals, vor so vielen Jahren: du lebst, Sonja – damals, als ihre Eltern und Brüder auf grausame Weise gemordet und sie selbst geschändet worden war –, damals, nachdem ein fremdartiges Wesen oder ein Gott oder eine Erscheinung ihrer Einbildung aus dem Nachthimmel sie flüchtig berührt, ihr die Kraft gegeben hatte, sich zu rächen, und sie auf den steinigen Pfad gewiesen hatte, der ihr als Kriegerin beschieden war.
Du lebst, Sonja – du lebst …
Lange hielt sie Tiamu in den Armen, wiegte sie sanft wie ein Baby, flüsterte ihr Trostworte zu, bis das Mädchen einschlief. Und auch als sie bereits schlummerte, wiegte die Rote Sonja sie weiter wie eine Mutter ihr Kind. Saureb kehrte nicht zurück. Die Fackeln und Öllampen brannten nieder. Vor der Höhle, jenseits des flatternden Vorhangs, kam ein Wind auf, der Himmel verdunkelte sich, und Regen prasselte herab. Tiamu schlief fest auf dem harten Boden, jetzt mit dem Kopf auf Sonjas Schoß.
Und Sonja weinte lautlos – nicht aus Mitleid oder Betrübnis, sondern weil trotz all des Chaos und menschlichen Elends und der Ungerechtigkeit, während sie Tiamu in der Höhle des Zauberers so hielt, ein zaghafter Funke des Glücks sich in ihr entzündet hatte.
Erliks Blut! Unwillkürlich lachte Sonja über diese unerwartete Reaktion.
Mit Tiamus Kopf auf dem Schoß weinte sie sanft weiter.
Keldum zwang Hefei, sich die Haufen von Toten in der Banketthalle anzusehen, die in ihrem eigenen Blut lagen, weil sie den schändlichen Befehl zum heimtückischen Überfall gegeben hatte. Der Gestank verwesenden Fleisches ist hartnäckig – lange noch würde er der Banketthalle anhaften. Hefei zweifelte, dass er je zu vertreiben war.
Sie war nicht gekettet. Keldum mit seiner Menschenkenntnis wusste, dass keine Bande Hefei stärker halten konnten, als der Anblick der Folgen ihres Befehls.
Während die Regenwolken aufzogen, sammelten die Bürger der Stadt sich auf den Straßen, um zu erfahren, was vorgefallen war. Sie hatten von der Schlacht im Palast gehört. Viele waren gefallen, und zwar nicht nur Zamorier, sondern eine beachtliche Zahl der Stadtsoldaten. Mophis war tot, die Herrscherin gefangen.
Ein Soldat meldete Keldum, dass die Menschen auf den Straßen unruhig waren. So drängte er Hefei auf einen Balkon, damit sie eine Rede halten möge. »Ich lasse Euch nicht enthaupten«, erklärte er ihr. »Ich brauche Euch lebend. Ich hatte auch nicht vor, Euch oder Euren Leuten etwas anzutun. Meine Mission, trotz Eures schändlichen Versuchs, uns alle zu morden, ist nach wie vor, die flüchtende Rote Sonja zu finden und festzunehmen. Aber durch Eure Heimtücke habt Ihr mich zuhöchst ergrimmt, und so wird Eure Stadt teuer mit Gut und Gold bezahlen, wie sie es bereits mit Leben getan hat. So, sagt das Euren Untertanen. Macht schon!«
Von einem Balkon ihres Palasts sprach Hefei zu ihrem Volk. Sie sagte, dass sie sich schlimmer Fehler schuldig gemacht hatte, weil sie geglaubt hatte, die zamorianischen Soldaten seien von den Göttern
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