Nacht der Dämonen
raue Hand nach ihr und hielt sie fest.
»Warte, Vögelchen! Wir wollen doch ein bisschen Spaß miteinander haben, eh?«
Sie wand sich in dem festen Griff, sah ein lüsternes, schweinisches Gesicht und roch stinkenden Atem. In diesem Augenblick ließ er sie frei. Er wich vor ihr zurück und starrte sie an. »Was zum … Bist, du eine Dämonin …?«
»Belthal!« schrie Tiamu wuterfüllt.
Ein drittes Mal schoss der Flammenstrahl hervor, heftiger denn zuvor. Der Lüstling kam nicht einmal mehr zum Schreien. Voll Ekel wandte Tiamu sich ab. Sie drückte den Stab an die Brust und rannte weiter.
Was ist mit dir passiert, als es dir passierte, Sonja? Er – der Zamorier – wo ist er? Wie war es bei dir, Sonja? Es war keine Strafe der Götter, nicht wahr? Es ist nur so passiert. Und danach, Sonja, hast du eine Vision gehabt – eine Gottheit oder ein hohes Wesen. Warum hat es dich nicht gerächt? Sie folterten ihn, hast du gesagt.
Und als du ihn erkanntest, war es bereits zu spät für Rache. Ihr Götter, gebt, dass es bei mir nicht so ist!
Die Straßen waren voll von galoppierenden Pferden und schreienden Stimmen. Sie hörte ihren eigenen, gequälten Atem, das Klappern ihrer Sandalen auf dem Kopfsteinpflaster. Sie war benommen von der Anstrengung, dem Wahnsinn hier und den Bildern in ihrem Kopf. Trotzdem rannte sie weiter, suchte nach der Straße zum Stadtplatz und zum Palast und bahnte sich einen Weg durch den Tumult.
Als sie den Platz endlich erreichte, blieb sie wie angewurzelt stehen. Sie drückte den Stab an sich, hatte Seitenstechen vom heftigen Pochen ihres Herzens und dem keuchenden Atem. Der Mob stürmte den Palast. Hunderte von Bürgern brüllten und brandeten in Wellen gegen den Eingang, während Pferde verstört durchgingen. Ein Teil des Daches brannte. Stadtsoldaten versuchten, mit behelfsmäßigen Leitern die Wehrgänge zu erobern und einige wurden zurückgestoßen und stürzten in die Tiefe. Tote Zamorier hingen von Zinnen und Balkonen. Der Palast war umzingelt. Und dann sah Tiamu weitere Leichen: Opfer an hohen Stangen, rings um den Stadtplatz. Priester beteten laut.
Über all den Lärm und das Prasseln des Feuers hinweg heulte die Menge: »Tod den Zamoriern!«
»Keldum!«
Voll Abscheu stieß Sonja den Namen hervor. Ein kalter Wind wehte ihr entgegen. Sie griff nach dem Schwert.
Hauptmann Keldum sprang von seinem Pferd. Am Hang, unterhalb Saurebs Höhle, zog er die eigene Klinge – und lachte. Dann stieg er langsam und entschlossen höher, Sonja entgegen.
»Ein guter Witz, findest du nicht auch, Hyrkanierin? Siehst du, was wir ausgelöst haben, du und ich? Die Stadt ist in Aufruhr, und meine Männer sind inzwischen vermutlich bereits alle tot. Nun, im Grenzfort wird man uns ohnehin längst aufgegeben haben. Ja, ein echter Witz, nicht wahr?«
Sonja antwortete nicht. Aus schmalen Augen beobachtete sie Keldum, der ein paar Mal auf losen Steinen ausglitt.
»O ja, ein seltsamer Witz. Ich glaube, Mitra ist ein lachender Gott, Sonja. Schau uns doch nur an. Wir sind beide Gesetzlose, ist dir das klar? Und diese Stadt ist so gut wie vernichtet und ihre Bevölkerung verdammt – doch wir zwei Gesetzlose stehen darüber. Die ganze Welt rings um uns stirbt, Sonja, während wir hier, vom Dach der Welt aus, zusehen. Ich weiß nicht einmal, ob ich überhaupt versuchen werde, zum Fort zurückzukehren. Es erscheint mir nicht mehr von Bedeutung. Aber weißt du, was für mich wichtig ist, Sonja? Dass ich dich habe!«
Keldum befand sich nun auf Augenhöhe mit ihr, aber in einiger Entfernung. Der Aufstieg war anstrengend gewesen, und er atmete schwer. Sonja betrachtete ihn mit einer Mischung aus Abscheu und Bewunderung. Nein – gewiss nicht Bewunderung, sagte sie sich. Nur Staunen über seine Hartnäckigkeit, seine Wendigkeit und seinen Lebensdrang – wie der eines tollwütigen Tieres. Er war verändert. Er grinste wild und hochmütig, und seine Augen glänzten fast irr. Er sieht aus, als wäre er mit dämonischer Kraft erfüllt, dachte Sonja. Er ist wahnsinnig! Ihm ist nichts als seine Besessenheit geblieben!
»Es ist wichtig, dass ich dich habe, Sonja«, wiederholte er. »Das erkannte ich von Anfang an. Die anderen –« er deutete mit dem Schwert auf die Stadt – »sind von keiner Bedeutung. Du und ich dagegen, wir sind anders.«
»Sprechen kostet dich Kraft, Keldum – und für das, was du beabsichtigst, hast du ohnedies kaum genug.«
Keldum lachte herzhaft. »Meine Kraft reicht, dich mir gefügig
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