Nacht der Dämonen
biss hinein – doch dann schleuderte sie ihn in ihrem Zorn auf den Boden.
»Erliks Thron! Saureb, hört mir zu …«
Saureb drehte sich um und ging in die hinteren Höhlenkammern.
Sonja zögerte. Des Zauberers Benehmen war ihr noch unverständlicher als sonst. Da erinnerte sie sich, dass sie gesehen hatte, wie er sich über die schlafende Tiamu gebeugt hatte – vermutlich, um ihr etwas zuzuflüstern. Hatte er ihr durch Zauber Befehle eingetrichtert, die sie später befolgen musste?
Mit der Hand am Schwertknauf trat sie entschlossen durch den Vorhang, der den vorderen Höhlenraum von Saurebs Kammern abtrennte. Mehrere Lampen waren angezündet. Sonja fand den Zauberer vor dem kreisrunden Spiegel an der Felsenwand sitzen.
Sie trat zu ihm.
»Ihr habt das Mädchen benutzt, nicht wahr?« Ihre Stimme war hart wie der Stahl, den sie trug. »Ihr sagt mir jetzt besser, ob sie das, was zu tun Ihr sie schicktet, überleben wird!«
Saureb achtete überhaupt nicht auf sie.
»Seht her!« rief er statt dessen und starrte in den Spiegel. Unbeschreibliche Verachtung klang aus seiner Stimme.
Der Spiegel zeigte den Aufruhr, die Gewalttätigkeit in der Stadt. Der Mob stürmte den Palast. Unter dem Befehl wahnsinniger Priester hieben Soldaten mit Schwertern auf Frauen und Kinder ein. Verzerrte Gesichter verfluchten die Götter. Schreiende Bürger bemühten sich, einen Weg durch das Südtor aus der Stadt zu erzwingen. Soldaten hielten sie auf, doch die Menschen kämpften mit Stöcken und Äxten und allem, was sie zur Hand hatten, um ihre Freiheit. Die Torflügel gaben schließlich unter ihrem Ansturm nach. Die Masse drängte nach und zertrampelte achtlos Kinder und alte Leute, die nicht schnell genug auf den Füßen waren.
Erschrocken forderte Sonja mit grollender Stimme: »Zeigt mir Tiamu!«
»Das kann ich nicht. Sie hat den Stab Belthals und Omidons bei sich, der seinen Träger vor jeglicher Zauberei beschützt. Ich habe keine Macht darüber.«
»Sie – sie hat den Stab?« rief Sonja entsetzt.
Stirnrunzelnd wandte Saureb sich ihr zu. »Ja. Und jetzt passt auf!«
Heulende Gesichter, blutige Waffen und panikerfüllte Pferde flossen und wirbelten im Spiegel wie stimmenlose Geister in einem Höllensturm. Sonja spürte, wie ihr Blut wallte und ihre Besorgnis bei diesen Ausschreitungen wuchs. Auch andere Szenen waren nun zu sehen: besessener Mob im Tempel, der nach Erbarmen und Rache brüllte.
Saureb beugte sich näher über den Spiegel.
»Könnt Ihr sie hören?« knurrte er. »Nein, nein, natürlich nicht. Aber hört zu: sie flehen die Götter an, sie zu retten und die Zamorier zu vernichten. Hört sie Euch an: ›Ihr Götter! Ihr Götter, befreit uns von unseren Peinigern!‹ Selbst zu meinem großen Mentor Zarutha beten sie wie zu einem Gott. Hört nur: ›Die Dämonen! Die Dämonen! Schick die Dämonen, damit sie unsere Feinde verschlingen!‹ Ja, hört es Euch an! Immer noch verharren sie in ihrem Hass und ihrer Wut – und noch immer ist ihnen nicht bewusst geworden, womit sie sich ihren Untergang zugezogen haben! Bald werden sie alle vernichtet werden: die oberen wegen ihrer Grausamkeit und Machtgier, die unteren wegen ihrer Grausamkeit und Feigheit, und die Zamorier wegen ihrer Grausamkeit und Eroberungssucht. Sie werden den mit Schändlichkeit gefüllten Kelch nun bis zur Neige leeren müssen!«
Sonja legte eine Hand fest auf Saurebs Schulter. »Ich kann nicht zulassen, dass Ihr ihnen das antut! Es ist nicht der Wille der Götter, Saureb – sondern Eurer!«
»Nicht meiner allein. Sie haben es selbst herbeigeführt, Sonja, und die Fäden des Schicksals …«
»Faselei!« knirschte Sonja. »Ein Schicksal, das Ihr bestimmt!«
Saureb stand auf und funkelte sie an. »Ihr könnte es nicht aufhalten, Sonja. Ich bin lediglich ein Glied in der Kette. Sie haben den Kelch selbst gefüllt – nun müssen sie ihn leeren. Ich könnte den Lauf der Dinge nicht aufhalten, selbst wenn ich es wollte.«
Mit blitzenden Augen machte Sonja einen Schritt zurück und zog bedächtig die Klinge aus der Scheide. »Ich werde es nicht zulassen, Saureb!«
Saureb achtete überhaupt nicht auf die gegen sein Herz gerichtete Schwertspitze, und schüttelte betrübt den Kopf. »Ihr habt gar nichts von dem verstanden, was ich Euch sagte, nicht wahr? Oder seid Ihr nur bockig?«
»Nennt es, wie Ihr wollt. Ich werde jedenfalls nicht zulassen, dass Ihr die Stadt vernichtet, Saureb. Versteht Ihr?«
»Es liegt nicht in meiner Macht, Sonja. Versteht
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