Nacht der Dämonen
Mitte des Tumults zu kommen. Keuchend rannte sie zur Mauer und sank in plötzlicher Furcht in den Schotter und das wuchernde Unkraut am Fuß der Mauer.
Das Pferd eines wahnsinnigen Reiters, das an ihr vorbeigaloppierte, hätte sie fast zertrampelt. Ihm dichtauf folgte ein Trupp gerüsteter Soldaten. Verstört und vor Furcht fast gelähmt, kauerte sich Tiamu an die Mauer, als der Mob die Stadtsoldaten mit Steinen und allem, dessen er habhaft werden konnte, bewarf – und dann hagelte es auch noch Pfeile. Gut ein Dutzend der Soldaten stürzten mit Pfeilen gespickt von ihren Reittieren.
Erst nach einer Weile wagte Tiamu, sich wieder aufzurichten. Die Menge vor dem Tor hatte sich gelichtet. Der Großteil des Mobs rannte durch die Steppe, auf der Flucht vor den Truppen. Sie schaute sich um. Niemand achtete auf sie. Wenn sie sich beeilte, konnte sie durchs noch offene Tor in die Stadt gelangen. Sie rannte los, stolperte über eine Leiche, fiel auf die Knie, rutschte aus und schlug mit dem Gesicht auf. Schnell erhob sie sich und sah durch Tränen des Schmerzes einen toten Soldaten neben sich. Blindlings raste sie weiter zum Tor.
»Da ist noch eine! He, Schlampe – hinein mit dir!«
Bei diesem wilden Befehl wandte Tiamu den Kopf – und sah gerade noch, wie eine schwere, behandschuhte Faust auf ihre Schläfe herabfiel. Sterne schienen in ihrem Kopf zu bersten. Sie schwankte, versuchte weiterzulaufen, stolperte und fiel. Sie schaute hoch und sah, dass ihr Peiniger auf sie zukam – ein hochgewachsener Soldat in voller Rüstung. Tiamu schluchzte und rieb sich den Kopf. Furcht, Wut und Entrüstung stiegen in ihr auf. In diesem Augenblick berührte ihre Linke zufällig den Stab, den sie sich durch den Gürtel gesteckt hatte.
Du kennst die Namen der Macht, Tiamu!
Ohne dass ihr ganz bewusst wurde, was sie tat, riss sie den Stab aus dem Gürtel und streckte ihn aus, mit dem glühenden Ende auf den Soldaten gerichtet.
»Belthal!«
Eine schmale Lanze klargelben Feuers schoss aus dem Stab und traf den Soldaten genau in der Mitte seines Harnisches. Ein entsetzlicher Schrei entquoll seinen Lippen, als das Metall rot aufglühte und in einem langen Streifen schmolz. Der Mann taumelte rückwärts und fiel krachend auf den Rücken.
Tiamu stand auf. Der Geruch versengten Fleisches hing schwer in der Luft. Ein schier überwältigendes Gefühl der Macht und des Wohlbefindens bemächtigte sich ihrer – doch seltsamerweise fühlte sie sich gleichzeitig schwach und schwindelig. Ein paar Leute starrten sie mit weiten Augen an. Dieser Anblick reizte sie zum Lachen. Dann rannte sie weiter, durch den kleinen Hof am Wachtturm und durch den Torbogen, der in die Stadt führte.
Sie war im großen Hof innerhalb der Nordmauer. Hinter ihr kam ein Trupp Wachen. Er jagte die letzten Bürger herein, denen es nicht gelungen war, mit dem Mob zu fliehen. Die bereits zurückgeholten Elkader und jene, die nicht mehr durchs Tor gekommen waren, standen in Gruppen herum, und den Soldaten gelang es nur mit Mühe, sie in Schach zu halten.
»Ihr könnt uns nicht festhalten!« schrie einer aus der Menge. »Ihr habt kein Recht dazu!«
Als Antwort schlugen die berittenen Soldaten mit Peitschen und Speerschäften auf die dichtgedrängten Bürger ein. Tiamu sah eine junge Frau schreiend zu Boden sinken, nachdem ein Soldat ihr die Peitsche voll über das Gesicht gehauen hatte.
Entsetzt und ergrimmt hob Tiamu den Stab erneut.
»Belthal!«
Wieder schoss die dämonische Flammenlanze aus dem gelben Stabende. Der Soldat, der die Frau gepeitscht hatte, schrie gellend auf, als eine Gesichtshälfte schwarz wie kochendes Pech wurde. Sein Pferd bäumte sich auf und warf ihn ab. Ein Schrei des Erstaunens erhob sich aus der Menge.
Tiamu rannte durch den Tumult zu einer Gasse, von der sie wusste, dass sie an einer Reihe armseliger Häuser vorbei in Richtung Palast und Stadtplatz führte. Wieder empfand sie diese ungeheure Macht und gleichzeitig die schwindelige Schwäche.
»Stehen bleiben!« brüllte ein Mann. »Du läufst nirgendwohin, Mädchen!«
Tiamu wirbelte herum. Ein großer, bärtiger Soldat griff nach ihrem freien Arm. Hämisch betrachtete er sie.
»Lass mich los!« rief sie.
»Du gehst nirgendwohin ohne mich!« Der Soldat schüttelte sie grob.
Da bewegte sich etwas hinter ihm. »Lass sie los, Schwein!« Ein Ziegel wurde auf den Kopf des Soldaten geschmettert, und er ging zu Boden.
Verstört rannte Tiamu weiter die Gasse entlang – und wieder griff eine
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