Nacht der Dämonin / Magischer Thriller
meinst die Nachfolgefrage«, sagte ich.
Sonny schnaubte. »Frage? Wenn man Benicio Cortez glauben soll, gibt es da keine Frage.«
Jaz wälzte sich auf die Seite, sodass er mir ins Gesicht sah. »Das ist das große Problem, das, von dem Guy gesprochen hat. Es beweist, dass Benicio sich einen Dreck für das Wohl seiner Angestellten interessiert. Er hat drei Söhne, die alle im Betrieb arbeiten. Der Älteste ist wie alt, vierzig? Sein ganzes Leben bei der Firma gewesen. Hat die nötigen Führungsqualitäten, das sagt jeder. Und wen ernennt Benicio zu seinem Erben?«
»Lucas«, sagte ich.
»Den illegitimen jüngsten Sohn, der mit dem Familienunternehmen nichts zu tun haben will. Der sein Leben, seit er erwachsen ist, damit verbracht hat, den Kabalen Ärger zu machen, wo er kann. Das ist der Typ, von dem Benicio will, dass er seinen Job übernimmt.«
Ich setzte mich auf. »Die meisten Leute, mit denen ich geredet habe, glauben nicht dran, dass Lucas wirklich der Erbe ist. Sie glauben, Benicio will sich einfach nicht in die Karten sehen lassen. Und seine älteren Söhne an der Kandare halten.«
»Guy glaubt, der alte Mann meint’s ernst. Und wenn er stirbt? Wenn Lucas Cortez die Kabale übernimmt?« Jaz schüttelte den Kopf.
»Aber wenn Guy glaubt, das wäre das Ende der Kabale – wäre das nicht gut so?«
»Es ist nicht das Kabalen
prinzip,
gegen das Guy was hat. Es ist die Art, wie sie organisiert sind – die ungerechte Machtverteilung. Er würde sie liebend gern aus dem Gleichgewicht bringen, den kleinen Leuten wie uns was zurückgeben. Aber die Kabale komplett ruinieren, so wie Lucas Cortez es machen würde? Was würde das für die Paranormalen in Miami bedeuten? Für Leute wie unsere Eltern, die Jobs bei den Kabalen haben? Für die Gangs? Guy will die Kabalen reformiert sehen, nicht ausgelöscht.«
Was plante Guy also, wenn er überhaupt etwas plante? Das konnte ich nicht fragen. Noch nicht. Aber ich hatte eine erste Spur. Benicio hatte also recht gehabt: Hier bereitete sich Ärger vor.
Das Thema fallen zu lassen fiel mir schwer. Für die Journalistin in mir waren die Antworten fast greifbar, direkt unter der Oberfläche. Zuallermindest konnte ich noch ein bisschen herumkratzen und sehen, was noch alles nach oben kommen würde.
»Habt ihr Lucas Cortez je getroffen?«, fragte ich.
Sonny schüttelte den Kopf.
»Hab einen Typ gekannt, der mit ihm auf dem College war«, sagte Jaz.
»Juristische Fakultät?«
»Nee, noch im Grundstudium. Das war, bevor Lucas mit seinem ›Die Mächtigen bekämpfen‹-Mist angefangen hat. Dieser Typ hat gewusst, wer Lucas war, weil sein Dad für die Cortez’ gearbeitet hat. Sonst hätte er ihn nie auch nur bemerkt, hat er gesagt. So ein Geek und Einzelgänger, die Sorte Typ, mit dem man wirklich nur redet, wenn man einen braucht, der einem die Hausaufgaben macht.«
Sonny schüttelte den Kopf. »Und das ist der Sohn, von dem Benicio will, dass er die Kabale leitet.«
»Ich bin ihm mal begegnet«, sagte ich.
Jaz ließ das Steinchen fallen, mit dem er gespielt hatte. »Lucas Cortez?«
»Ich war mit einem Dieb zusammen, der Ärger mit Lucas hatte. Nach einem Unternehmen, das wir zusammen durchgezogen hatten, war er hinter uns her.«
»Ernstlich?«
»
Ernstlich
wäre übertrieben. Mein Ex ist ihn ziemlich schnell losgeworden. Du hast ja selbst gesagt, er ist ein Geek. Ein Versager, der sich für so eine Art Kreuzfahrer hält.« In Gedanken bat ich Lucas um Entschuldigung.
Jaz dachte einen Moment lang über das nach, was ich gesagt hatte, und meinte dann: »Das würde Guy sich bestimmt gern anhören. Dich nach deinen Eindrücken fragen. Wäre das okay?«
Genau das, worauf ich gehofft hatte. Ich nickte und versicherte, ich würde mein Bestes tun – sogar meinen Ex anrufen, wenn das helfen konnte.
Meinen Ex anrufen.
Ich hatte den Einbruch dazu genutzt, um mich im denkbar neutralsten Sinn an Karl zu erinnern. Meinen Kontaktmann. Meinen Mentor. Meinen Freund. Ich hatte ihn an diesem Nachmittag schon Guy gegenüber als meinen Ex bezeichnet und es gerade wieder getan, weil sie sich darunter etwas vorstellen konnten. Die Wahrheit war, dass »mein Freund« – Freund wie Lebensgefährte – ein Begriff war, mit dem ich ihn unmöglich umschreiben konnte. Von »Ex« einmal ganz abgesehen.
Karl Marsten.
Ein Typ, der niemals Teil meines Lebens hätte werden sollen, und es gab Tage, an denen ich mir wünschte, er wäre es nicht geworden.
Karl, der werwölfische
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