Nacht der Füchse
Greiser zu mir.«
Er ging zum Fenster und schaute hinaus. Die Wolken waren verschwunden, der Himmel leuchtete überraschend blau. Die noch immer auslaufende Flut umspülte die Felsen mit weißer Gischt. Die Tür ging auf, und die beiden Polizisten traten ein.
»Sie wollten uns sprechen, Herr Hauptmann«, sagte Kleist.
»Ja, Willi.« Müller setzte sich, lehnte sich im Stuhl zurück, zündete eine Zigarette an und blies den Rauch zur Decke.
»Was ist?«, fragte der Inspektor.
»Erinnern Sie sich an den alten Dieckhoff, den Chef der hamburgischen Kriminalpolizei?«
»Wie könnte ich den vergessen?«
»Gerade heute muss ich an seine erste Grundregel denken, die er mir als junger Kriminalbeamter immer wieder eingebläut hat. Dieckhoffs Gesetz, wie er es nannte.«
»Ein Ei mag noch so gut aussehen«, reagierte Kleist, »wenn es stinkt, stimmt etwas nicht.«
»Genau!« Müller nickte lebhaft. »Und diese Sache stinkt, Willi.« Er stand auf und marschierte im Zimmer hin und her. »Dabei habe ich keine Beweise oder greifbare Indizien, nur meinen Instinkt als Kriminalbeamter – und der sagt mir, dass die Dinge nicht so sind, wie sie scheinen. Ich würde gern mehr über Standartenführer Vogel in Erfahrung bringen.«
Kleist reagierte nervös. »Aber Herr Hauptmann! Seine Pa piere sind einwandfrei! Und Sie können nicht einfach bei Reichsführer Himmler anrufen und sich nach seinem persönli chen Abgesandten erkundigen.«
»Nein, natürlich nicht.« Müller machte kehrt. »Aber es gibt eine andere Möglichkeit. Ernst, Ihr Bruder hat doch früher im Berliner Gestapo-Hauptquartier in der Prinz-Albrecht-Straße gearbeitet? «
»Peter?«, antwortete Greiser. »Jawohl, Herr Hauptmann, aber inzwischen wurde er ins Stuttgarter HQ versetzt. In die Registratur.«
»Bestimmt hat er noch Verbindungen zu Berlin. Melden Sie ein Gespräch mit ihm an. Erkundigen Sie sich nach Vogel. Ich will wissen, wie wichtig er ist.«
»Soll ich den Fernschreiber benutzen? Das ginge schneller.«
»Habe ich nicht gesagt, wir müssen vorsichtig sein?«, fragte Müller gereizt. »Es darf kein offizielles Vorgehen geben.«
»Aber Sie wissen selbst, Herr Hauptmann, dass Telefonate mit Deutschland über Cherbourg und Paris geschaltet werden. Zuletzt hat es bei eiligen Gesprächen fünfzehn, sechzehn Stun den gedauert.«
»Dann melden Sie das Gespräch sofort an, Ernst.« Der junge Mann verließ das Büro, und Müller sagte zu Kleist: »Kümmern Sie sich um den Kübelwagen. Lassen Sie ihn zum De-VilleAnwesen bringen. Zunächst wollen wir den Mann zufrieden stellen.«
Helen rollte gerade den Kartoffelmehlteig aus, als Gallagher in die Küche trat. »Gut, du kannst gleich den Fisch ausnehmen«, sagte sie.
Auf der Marmorplatte neben der Spüle lagen einige Schol len. Gallagher zog sein Springmesser aus der Tasche. Der Griff bestand aus gelb schimmerndem Elfenbein. Er drückte mit dem Finger darauf und ließ eine rasiermesserscharfe Klinge hervor springen.
»Du weißt, wie wenig ich das Ding mag«, sagte sie.
»Mit zwölf Jahren ging mein Großvater Harvey Le Brocq auf seine erste Schonerfahrt von Jersey zur großen Neufund landbank, um Kabeljau zu fangen. Damals schenkte ihm sein Vater dieses Messer. Er hat es mir testamentarisch hinterlassen. Messer, Feuerwaffen – es kommt darauf an, wie man sie ein setzt, Helen.«
»Was soll ich jetzt tun – dir Beifall spenden?«, fragte sie, während er begann, den Fisch abzuschuppen. In diesem Mo ment hielt ein Auto vor dem Haus. »Wahrscheinlich Guido. Ob er wohl eine ruhige Überfahrt hatte?«
Im Korridor klangen Schritte auf, es wurde angeklopft, dann trat Guido ein, in jeder Hand einen Koffer. Er stellte das Ge päck ab und richtete sich auf.
»War die Überfahrt gut?«, fragte Helen.
»Nein. Die Hugo wurde torpediert. Savary wird noch ver misst, drei Besatzungsmitglieder und vier von meiner Ge schützmannschaft sind gefallen.« Sarah erschien an der Tür, gefolgt von Martineau, und Orsini fuhr fort: »Dies ist AnneMarie Latour. Sie war als Passagier auf der Hugo. Wi r konnten uns zusammen retten.« Er nickte Martineau zu. »Standarten führer Vogel.«
Helen schaute ihn verwirrt an. »Was kann ich für Sie tun?«
»Uns unterbringen, Mrs. de Ville«, sagte Martineau auf Eng lisch. »Ich bin nur einige Tage auf der Insel. Wir brauchen ein Quartier.«
»Unmöglich«, sagte Helen. »Mein Haus steht ausschließlich Offizieren der Kriegsmarine zur Verfügung.«
»Und ist
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