Nacht der Füchse
leise: »Was für eine schwere Kanone für ein so kleines Mädchen! Bei Ihnen kommt man aus dem Stau nen gar nicht mehr heraus.«
Sie nahm ihm die Waffe ab und steckte sie wieder in die Ta sche. »Das gehört eben zu meinem tödlichen Charme.«
»Sehr tödlich, wenn es um solche Utensilien geht.«
Sein Blick ruhte ernst auf ihr, doch sie lächelte nur schwach und küsste ihn impulsiv auf die Wange. Dann verließ sie die Kabine, und er folgte ihr.
Die Szene war ihr aus der Kindheit vertraut. Der Hafen, Eliza beth Castle links an der Bucht, die Albert-Pier, die Häuser von St. Helier und auf dem Berg darüber Fort Regent. Es war wie früher und doch ganz anders. Überall Geschützstellungen, und der Hafen war gerammelt voll mit Schiffen, wie sie es noch nie gesehen hatte. Die Binnenfrachter des Konvois waren bereits sicher vertäut, doch die S 92 hatte noch nicht angelegt.
»Wo ist das Schnellboot?«, fragte Sarah, die neben Guido und Leutnant Feldt am Schanzkleid der Brücke lehnte.
»Sucht wahrscheinlich ein letztes Mal nach Überlebenden«, antwortete Guido. Das Schiff näherte sich langsam der Albert Pier.
Hafenarbeiter begannen bereits mit dem Löschen der Bin nenfrachter, überall wimmelte es von Soldaten. Unten an der Reling standen etliche französische Besatzungsmitglieder der SS Victor Hugo, die vom Trawler noch nach Guido und Sarah aufgefischt worden waren. Sie trugen ebenfalls geliehene Klei dung. Zwei hatten Verbrennungen im Gesicht erlitten und wa ren verbunden. Ein weiterer Mann, der Öl geschluckt hatte, lag auf einer Trage.
»Von Savary keine Spur«, stellte Orsini fest.
»Vielleicht ist er von einem anderen Schiff aufgelesen wor den«, meinte Bruno Feldt. »Da, die GFP steht schon bereit. Wie kommt es, dass man Polizisten immer gleich erkennt?«
»GFP?«, stellte sich Sarah unwissend. »Was ist denn das?«
»Geheime Feldpolizei«, erklärte Guido. »Wenn es Sie inter essiert – der große Mann dort, Hauptmann Müller, ist eine Leihgabe der Gestapo. Ebenso der Unhold neben ihm, Inspek tor Willi Kleist; Sie sehen schon am Körperbau, dass den so schnell nichts umhaut. Der junge blonde Bursche ist Feldwebel Ernst Greiser. Der kommt zur Abwechslung nicht von der Ge stapo.«
»Am liebsten möchte er aber dorthin«, warf Bruno Feldt ein.
Die drei Männer kamen die Gangway herauf, sobald sie an gelegt war. Greiser wandte sich den französischen Seeleuten zu, während Müller, gefolgt von Kleist, die Leiter zur Brücke erstieg. Plötzlich spürte Sarah, dass sich Guidos Hand von hin ten in ihre Seitentasche schob und die Handtasche zu öffnen versuchte. Sie schaute sich kurz nach ihm um. Als sie erkannte, dass er die Walther suchte, war es bereits zu spät. Müller betrat die Brücke.
»Herr Leutnant.« Er nickte Feldt zu und sagte zu Orsini: »Wie zu hören ist, haben Sie eine ziemlich lebhafte Nacht hin ter sich.« Er trug einen alten Burberry-Mantel mit Filzhut und wirkte ausgesprochen höflich und sanft, als er sich Sarah nä herte und auf Französisch sagte: »Sie waren Passagier an Bord der Hugo, Mademoiselle…?«
»Latour«, warf Orsini ein. »Wir wurden zusammen ins Was ser geschleudert.«
»Eine bemerkenswerte Rettung«, sagte Müller nickend. »Sie haben Ihre Papiere verloren?«
»Nein«, gab sie zurück. »Hier.« Sie zog die Handtasche her aus und wollte sie öffnen, aber Müller streckte die Hand aus. »Mademoiselle, bitte geben Sie sie mir.«
Sarah zögerte kurz, und alle schienen den Atem anzuhalten, dann reichte sie dem Offizier die Tasche. »Aber gern.«
Müller sagte zu Bruno Feldt: »Wenn Sie nichts dagegen ha ben, benutzen wir mal eben Ihre Kabine.«
Seine Worte klangen ungemein logisch und verbindlich – dabei hatten die meisten Umstehenden offensichtlich Todes angst vor ihm. Nicht Guido, o nein, der lächelte nur und drück te ihr aufmunternd den Arm. »Ich warte auf Sie, cara, und wenn der Oberst nicht kommen sollte, kann ich Sie unterbrin gen, wo auch ich einquartiert bin, auf dem De-Ville-Anwesen. Die Dame des Hauses wird sich hervorragend um Sie küm mern, das verspreche ich Ihnen. Alles sehr vornehm. Nur Ma rineoffiziere.«
Sarah stieg den Niedergang hinab und betrat Leutnant Feldts Kabine. Müller folgte ihr, und Kleist lehnte sich an die offene Tür.
»Also, Mademoiselle.« Müller setzte sich auf das Bett, dreh te die Handtasche um und schüttelte den Inhalt aus. Papiere fielen heraus, Make-up-Kasten,
Weitere Kostenlose Bücher