Nacht der Füchse
Puderdöschen und Kamm, au ßerdem die Walther-Pistole. Müller schwieg. Er öffnete den französischen Ausweis und untersuchte ihn, ebenso den deut schen Ausweis und die Lebensmittelkarten. Sorgsam legte er alles in die Tasche zurück und zündete sich eine Zigarette an. Erst dann griff er nach der Walther, indem er einen Finger durch den Bügel hakte. »Sie wissen natürlich, dass es nur eine Strafe gibt, wenn ein Zivilist mit einer Waffe erwischt wird?«
»Ja«, antwortete Sarah.
»Die Pistole gehört Ihnen?«
»Gewiss. Sie wurde mir von einem Freund geschenkt. Er war besorgt um meine Sicherheit. Wir leben in unruhigen Zei ten, Herr Hauptmann.«
»Und was für ein Freund würde Sie dazu ermutigen, ein so strenges Gesetz zu übertreten? Macht ihn das nicht ebenso schuldig wie Sie?«
Von hinten sagte eine kalte Stimme auf Deutsch: »Vielleicht sollten Sie diese Frage mir stellen.«
Harry Martineau stand in der Tür. Guido schaute ihm über die Schulter. In der SS-Uniform unter dem schwarzen Leder mantel wirkte er ausgesprochen bedrohlich. Der silberne To tenschädel schimmerte an der zerdrückten Mütze.
Karl Müller wusste, wenn er den Rückzug antreten musste. Er sprang auf. »Standartenführer!«
»Sie heißen?«
»Hauptmann Karl Müller, Leiter der Geheimen Feldpolizei auf Jersey. Dies ist mein Stellvertreter Inspektor Kleist.«
»Ich heiße Vogel.« Martineau zog seinen SD-Ausweis. Nach kurzer Prüfung reichte Müller ihn zurück. Als Nächstes legte Martineau die Himmler-Vollmacht vor. »Lesen Sie das – Sie beide.«
Müller gehorchte. Kleist schaute ihm über die Schulter und warf schließlich einen ehrfürchtigen Blick auf Martineau. Mül ler zeigte sich gelassener, faltete den Brief schließlich zusam men und überreichte ihn. »Wie kann ich Ihnen behilflich sein, Standartenführer?«
»Mademoiselle Latour reist unter meinem Schutz.« Marti neau ergriff die Walther und schob sie wieder in ihre Handta sche. »Sie hat mir die Ehre erwiesen, sich für meine Freund schaft zu entscheiden. Es gibt aber Landsleute von ihr, die damit nicht einverstanden sind. Da ist mir wohler, wenn sie sich im Notfall verteidigen kann.«
»Selbstverständlich, Standartenführer.«
»Gut, dann erwarten Sie mich bitte an Deck.«
Müller zögerte nicht. »Jawohl, Standartenführer.« Er nickte Kleist zu und folgte ihm durch den Korridor.
Martineau schloss die Tür und wandte sich um. Plötzlich lä chelte er und ließ aus Vogel wieder Harry werden. »Du siehst schrecklich aus! Alles in Ordnung?«
»Ja«, antwortete sie. »Dank Guido.«
»Ach, Guido nennst du ihn?«
»Er hat mir das Leben gerettet, Harry. Es sah nicht gut aus, als wir untergingen. Brennendes Öl, sterbende Männer.« Sie erschauderte. »Und die britischen Torpedoboote schossen auf die Schiffbrüchigen im Wasser! Ich dachte, so etwas tun nur die Deutschen?«
»Im Kino, Schätzchen.« Er gab ihr eine Zigarette. »Im wirk lichen Leben tut das jeder.«
»Wir haben ein Problem«, sagte sie. »In Wasser habe ich Guido plötzlich auf Englisch angeredet.«
»Mein Gott!«
Sie hob abwehrend die Hand. »Es herrschte ein schreckli ches Durcheinander – und das ist noch milde ausgedrückt. Aber er spricht auch gut Englisch. Anscheinend ist er in Win chester zur Schule gegangen.«
»Hör auf«, sagte Martineau. »Das wird ja immer schlim mer.«
»So sehe ich das nicht. Als wir gerettet waren, erzählte er dem Schiffsführer, dass ich nur Französisch spräche. Außer dem wusste er von der Walther und hat mich nicht verraten.«
»Du bist aber ziemlich leichtsinnig gewesen.«
»Er ist kein Faschist, Harry, sondern ein italienischer Aristo krat, dem Politik piepegal ist und der hier festsitzt, weil er zu fällig am falschen Ort war, als die italienische Regierung kapitulierte.«
»Verstehe. Aber warum sollte er sich deinetwegen in Lügen verstricken?«
»Er mag mich.«
»Er mag dich! Er hat dich doch erst gestern Abend kennen gelernt.«
»Du weißt ja, wie diese Südländer sind.«
Sie lächelte keck, und Martineau schüttelte den Kopf. »Du sollst erst neunzehn sein? Ich würde dich eher auf hundertund neunzehn schätzen.«
»Noch etwas, Harry. Guido ist bei Tante Helen auf dem DeVille-Anwesen einquartiert. Anscheinend wohnen dort mehrere deutsche Marineoffiziere. Wenn du nicht gekommen wärst, hätte er mich dorthin mitgenommen.«
»Ausgezeichnet«, erwiderte Martineau. »Was die andere Sa che angeht, so
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