Nacht der Füchse
»Ich habe zu tun. Vor eurer An kunft musste ich schon für acht Mann kochen – also, ich muss mich sputen. Bis später.«
Kleist und Greiser fuhren die Straße entlang, die vom De-VilleAnwesen fortführte, doch schon nach einem halben Kilometer berührte der Inspektor seinen jungen Begleiter am Arm. »Wir wollen anhalten, Ernst. Fahren Sie den Wagen dort auf dem Seitenweg in Deckung. Wir gehen durch den Wald zurück.«
»Gibt’s dafür einen besonderen Grund?« »Nein, ich möchte mich nur mal umschauen.« Der Feldweg war ziemlich bewach sen. Greiser hielt an, als der Wagen von der Straße nicht mehr zu sehen war. Die beiden Männer stiegen aus, um einen Wald streifen zu durchqueren, der sich über das Land der de Villes zog. Es war still und eigentlich sehr angenehm. Zu hören war nur Vogelgezwitscher. Plötzlich tauchte eine junge Frau hinter der hohen Granitmauer eines Feldes auf. Sie trug einen Korb. Ihr Gesicht war nicht auszumachen. Sie trug ein Kopftuch, doch spannte sich der alte Baumwollrock so sehr, dass eine volle, reife Figur auszumachen war. Sie hatte die Männer nicht bemerkt und folgte dem Weg in den Wald.
»Das ist ja wirklich interessant«, sagte Kleist und lächelte Greiser an. »Meinen Sie nicht auch, dass wir der Sache nach gehen sollten, Herr Feldwebel?«
»Ganz entschieden, Herr Inspektor«, antwortete der jüngere Mann eifrig, und die Männer liefen schneller.
Die junge Frau war Mary, Mrs. Viberts Tochter. Nachdem Sean Gallagher im Haus gewesen war und ihr vorgeschlagen hatte, das Wochenende frei zu nehmen, waren der alten Frau die Eier eingefallen, die sie Helen de Ville für das Abendessen versprochen hatte. Das junge Mädchen sollte die Eier zum Haupthaus bringen.
Sie war erst sechzehn und körperlich bereits voll erblüht, wenn auch geistig nicht sehr weit entwickelt, was in ihrem schlichten, freundlichen Gesicht zum Ausdruck kam. Sie liebte das Land, die Blumen, die Vögel und war stets am glücklich sten, wenn sie allein durch den Wald streifen konnte. Auf einer Lichtung stand eine alte leere Scheune mit defektem Dach und schief hängenden Türen. Das Gebäude erfüllte sie stets mit Unbehagen, übte aber zugleich eine seltsame Anziehung auf sie aus. Sie blieb stehen und ging langsam durch das hohe Gras darauf zu, um ins dunkle Innere zu schauen.
»He!«, rief da eine laute Stimme. »Was machen Sie denn da?«
Hastig drehte sie sich um und sah Kleist und Greiser auf sich zukommen.
Auf dem Rückweg von Mrs. Vibert machte Sean Gallagher einen Umweg über die Südweide, wo er drei junge Kühe hatte, die nach Art der Jersey-Bauern an langen Ketten festgemacht waren. Kühe waren in dieser schlechten Zeit ein kostbarer Be sitz, und er setzte sich eine Weile am Wiesenrand in den Son nenschein, ehe er sich auf den Rückweg machte.
Er musste noch zwei Felder überqueren, da sah er die beiden Deutschen hinter Mary auf den Wald zugehen. Er blieb stehen, legte eine Hand über die Augen und schaute dem Mädchen nach, das zwischen den Bäumen verschwand, gefolgt von den Deutschen. Von einer seltsamen Unruhe getrieben, begann er schneller zu gehen. Er hatte das Feld kaum halb überquert, als er schon den ersten Schrei hörte. Fluchend rannte er los.
Sarah und Martineau machten ihren Spaziergang bei schönstem Frühlingswetter. Es war angenehm warm, und überall blühten Krokusse, Maiglöckchen und Kamelien. Sie erreichten das Kiefernwäldchen, durch das sie das blaugraue Wasser der Bucht schimmern sahen. Überall sangen Vögel.
Sarah hatte sich bei ihm untergehakt. »Himmel, was für ein herrlicher Geruch! Er versetzt mich geradewegs zurück in mei ne Kindheit mit ihren langen, heißen Sommern. Heute frage ich mich, ob es sie je gegeben hat oder ob sie nur ein unmöglicher Traum waren.«
»Nein«, antwortete er, »sie waren die einzige Realität. Der Albtraum, das waren die letzten vier Jahre.«
»Ich liebe diese Insel«, sagte Sarah. »Hier lebt eine alte Rasse von normannischer Herkunft, und die de Villes gehören mit zu den ältesten Familien. Unser Stammbaum lässt sich sehr weit zurückverfolgen. Robert de Ville kämpfte in der Schlacht von Hastings mit Herzog William von Normandy.«
»Mit dem guten alten William dem Eroberer?«
»Genau. Er herrschte über Jersey, ehe er König von England
wurde – wenn du willst, waren wir es also, die England koloni sierten, und nicht umgekehrt.«
»Das nenne ich arrogant.«
»Hier sind meine Wurzeln«, fuhr sie fort.
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