Nacht der Füchse
noch geöffnet, nur nicht mehr so lange wie früher. Mei stens je zwei Stunden vormittags und nachmittags.«
Sie versuchte, Sarahs Haaren eine Form zu geben. »Wie war es hier denn so?«, fragte das Mädchen.
»Nicht gut, aber auch nicht unerträglich, wenn man sich be herrschen kann. Viele Leute finden die Deutschen ganz in Ord nung, und oft sind sie das auch, aber beim geringsten Verstoß gegen die Vorschriften ist der Teufel los. Man muss eben tun, was einem gesagt wird. Die Jersey-Staaten wurden sogar ge zwungen, antisemitische Gesetze zu erlassen. Viele versuchen das damit zu entschuldigen, dass ja sowieso alle Juden fort seien – aber ich weiß zum Beispiel von zweien, die sich in der Nähe verstecken.«
»Was geschieht, wenn die Deutschen sie finden?«
»Das weiß Gott allein. Wir haben es oft genug erlebt, dass Leute in den berüchtigten Konzentrationslagern verschwanden, nur weil sie geflohenen russischen Zwangsarbeitern halfen. Der Vater einer Freundin von mir, Lehrerin am Jersey-MädchenCollege, besaß ein Radio – was verboten ist. Sie gab ihren Freundinnen die BBC-Nachrichten weiter, bis ein anonymer Brief die Gestapo ins Haus brachte. Man schickte sie ein Jahr lang nach Frankreich ins Gefängnis.«
»Ein anonymer Brief? Du meinst, von einem Einheimi schen? Das ist ja schrecklich!«
»In jedem Fass befinden sich auch faule Äpfel, Sarah. Jersey bildet in dieser Beziehung keine Ausnahme. Die andere Sorte ist auch vertreten. Zum Beispiel Postbeamte, die bei der Vertei lung möglichst viele an die Gestapo gerichtete Briefe ver schwinden lassen.« Sie hörte auf zu kämmen. »Also, besser bekomme ich es nicht hin.«
Sarah setzte sich, zog Seidenstrümpfe an und machte sie fest. »Mein Gott!«, rief Helen. »So etwas habe ich seit vier Jahren nicht mehr gesehen. Und das Kleid!« Sie half Sarah, das Kleid über den Kopf zu ziehen, und machte den Reißverschluss zu. »Du und Martineau – wie steht’s mit euch? Er ist alt genug, um dein Vater zu sein.«
»Mein Vater ist er auf keinen Fall.« Sarah lächelte und zog die Schuhe an. »Für mich ist er der irritierendste Mann, den ich je kennen gelernt habe – und der faszinierendste.«
»Und du schläfst mit ihm?«
»Tante Helen, ich bin nach außen hin Vogels Schätzchen.«
»Wenn ich mir vorstelle, dass du noch Zöpfe trugst, als ich dich das letzte Mal sah!«, rief Helen.
In der Küche tat sie zwei Löffel ihres kostbaren China-Tees in die Kanne, aber Gallagher wollte gehen. »Ich muss Mrs. Vibert sehen und ihr frei geben«, meinte er. »Ihre Anwesenheit würde alles unnötig kompliziert machen. Es bestünde immer die Ge fahr, dass Sie dich erkennt, Sarah. Schließlich hat Sie dich weiß Gott gut gekannt.«
Er verschwand, und Helen, Sarah und Martineau setzten sich an den Tisch und tranken Tee und rauchten. Plötzlich klopfte es. Helen machte auf und sah sich Willi Kleist gegenüber.
Martineau stand auf. »Sie wollen zu mir?«
»Wir bringen Ihnen den Kübelwagen, Standartenführer«, meldete Kleist.
Martineau eilte ins Freie, um sich das Fahrzeug anzusehen. Das Leinendach war hochgeklappt, und die Karosserie mit Tarnfarben bemalt. Er schaute ins Innere und sagte. »Sieht or dentlich aus.«
Ernst Greiser saß am Steuer eines schwarzen Citroen. Kleist sagte: »Wenn wir sonst noch etwas für Sie tun können…«
»Ich glaube nicht.«
»Ach, Hauptmann Müller lässt Ihnen noch ausrichten, dass er mit Oberst Heine gesprochen hat, unserem Militärkomman danten. Offenbar wird er heute Nachmittag im Rathaus sein. Wenn Sie ihn dort besuchen wollen…«
»Vielen Dank, das mache ich.«
Die beiden fuhren ab, und Martineau kehrte ins Haus zurück. »Unsere Transportprobleme wären gelöst. Ich fahre heute Nachmittag in die Stadt und schaue beim Militärkommandan ten und anschließend bei Müller und seinen Freunden im Sil vertide-Hotel vorbei.«
»Am besten begleitest du ihn, um dir das Haar machen zu lassen«, sagte Helen zu Sarah. »In Charing Cross haben wir eine gute Friseuse. Du kannst ihr sagen, ich hätte dich ge schickt.« Sie schaute Martineau an. »Liegt sehr günstig. Dicht beim Rathaus.«
»Einverstanden«, bemerkte er. »Nur eins darf sie nicht tun – sie darf nicht sagen, Sie hätten sie geschickt, Mrs. de Ville. Unter den gegebenen Umständen wäre das falsch.« Er stand auf. »Mir ist nach frischer Luft. Wie wär’s, wenn du mich ein wenig auf dem Gut herumführtest, Sarah?«
»Gute Idee«, sagte Helen.
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