Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall
Spurensicherung.
Sie nickten einander zu, und Guerrini wies auf die roten Plastikbänder.
«Es gibt also Spuren.»
«Jede Menge!» Pucci nahm seine Mütze ab und wischte sich über die Stirn. «Da hat sich einer nicht die Mühe gemacht, irgendwas zu verwischen. Schöne, klare Stiefelabdrücke. Hin und zurück! Wenn wir Glück haben, erwischen wir den Kerl noch heute Abend!»
«So klar ist die Sache?» Guerrini zog die Augenbrauen hoch und schaute sich suchend um.
«Sieht so aus», erwiderte Pucci. «Sie liegt hier drüben. Wir konnten sie nicht in der Höhle lassen. Der Arzt hätte sie sonst nicht untersuchen können.»
«Welche Höhle?»
«Na, sie war hier unter den Wurzeln. Er muss sie da reingeschleppt haben. Schleifspuren haben wir auch gefunden.»
Angelo Guerrini näherte sich zögernd dem länglichen Bündel, das hinter den Polizisten auf dem Sand lag. Die Tote war mit einem großen bunten Tuch verhüllt, ein verwelktes Blumenbüschel lag dort, wo Guerrini ihre Brust vermutete.
«Das war diese verrückte Deutsche!», sagte Pucci entschuldigend. «Sie hat sich nicht davon abhalten lassen! Ein komischer Haufen ist das da oben im Kloster!»
«Wieso?», fragte Guerrini abwesend und zog langsam das Tuch vom Gesicht der Toten. Pucci redete weiter, doch Guerrini hörte nicht mehr zu. Die junge Frau lag da, als schliefe sie, den Kopf ein wenig zur Seite geneigt, mit einem rätselhaften, fast spöttischen Lächeln auf den Lippen. Sie hatte halblanges blondes Haar mit vielen Locken, ihre Wimpern waren dicht und dunkel.
Höchstens Mitte zwanzig, dachte Guerrini. Viel zu jung zum Sterben!
Er bückte sich, um eine dunkle Stelle an der rechten Schläfe der Toten zu betrachten. Dort war die Haut leicht aufgeschürft. Auch die Wangen und die Nase zeigten Schürfwunden. Ihr Hals dagegen war weiß und makellos. Keine Würgemale. Guerrini richtete sich wieder auf und bemerkte erst jetzt, dass Pucci noch immer redete.
«Entschuldigung», murmelte er. «Ich habe nicht zugehört. Was haben Sie gesagt, Pucci?»
Der Maresciallo presste die Lippen zusammen und strich ungeduldig über seinen schmalen Schnurrbart.
«Ich habe Ihnen gerade erklärt, warum die Deutschen in der Abbadia mir seltsam vorkommen. Sie haben mich danach gefragt, Commissario!»
«Also, warum?»
Pucci wippte leicht mit dem rechten Bein.
«Als wir kamen, wartete ein Mann am Weg auf uns. Er hat uns zum Bach geführt. Wir haben unseren Augen nicht getraut! Da saßen sechs Leute um die Tote herum, auf den Wurzeln, auf Steinen – alle im Schneidersitz –, und haben eine Art Wache gehalten. Wahrscheinlich haben sie dabei jede Menge Spuren zerstört. Aber was sie übrig gelassen haben, reicht noch! Wir haben sie dann weggeschickt. Aber sie wollten nicht gehen, blieben einfach auf der Wiese sitzen. Als der Doktor dann mit der Toten fertig war, kam die ältere Frau und hat sie mit dem Tuch da zugedeckt und die Blumen draufgelegt.»
«Ist doch eine schöne Geste, oder?», erwiderte Guerrini und bedeckte das Gesicht der jungen Frau wieder mit dem bunten Tuch.
Pucci wippte jetzt auf beiden Beinen.
«Vielleicht – aber es handelt sich um ein Mordopfer. Wir haben schließlich unsere eigenen Laken …»
«Jaja …» Guerrini sah angestrengt den Männern von der Spurensicherung zu, die noch immer jeden Zentimeter des Bachbetts absuchten.
«Was hat denn der Arzt gesagt? Welcher war überhaupt da?»
«Granelli.»
Guerrini nickte. Er kannte Granelli seit zehn Jahren. Obwohl er den Pathologen hoch achtete, lief es ihm bei seinem Anblick regelmäßig kalt den Rücken herunter. Granelli glich auf unheimliche Weise immer mehr den in Formaldehyd eingelegten Missbildungen, die er in seinem Labor um sich versammelt hatte. Er war klein, hatte einen runden kahlen Schädel und lief herum, als beugte er sich ständig über einen Seziertisch. Es war unmöglich, mit ihm über etwas anderes als Tote oder eingelegte Homunkuli zu reden. Die düsteren Räume des Gerichtsmedizinischen Instituts von Siena passten hervorragend zu ihm.
«Und was hat er gesagt?»
«Sie ist an einem Schlag auf die Schläfe gestorben.
Oder sie ist gestürzt und auf einen Stein gefallen. Mehr kann er erst nach der Obduktion sagen. War nur fünf Minuten da, der Dottore!» In Puccis Stimme schwang Missbilligung.
«Länger braucht er selten! Und er hat immer Recht, der alte Granelli.»
Gemeinsam mit Pucci ging er zu den Kollegen hinüber.
«Gibt’s schon was?»
«Stiefelabdrücke, die
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