Nacht der Versuchung
schien zweifellos zu wissen, wie man ein Baby halten musste, dennoch war Mariella nicht bereit, Fleur so leicht abzugeben. „Fleur braucht kein Kindermädchen“, sagte sie rasch. „Ich bin durchaus fähig, mich selbst um sie zu kümmern.“
„Mag sein, aber hier ist es Brauch, dass die Reichen den weniger Begüterten Arbeit geben und so für sie sorgen. Hera ist das älteste Kind in ihrer Familie, und ihre Mutter ist seit kurzem verwitwet. Wollen Sie dem Mädchen wirklich die Möglichkeit nehmen, seine Geschwister zu unterstützen, nur weil Sie Angst haben, dass Fleur auch jemand anders mögen könnte als Sie?“
Während er noch sprach, führte er sie schon in die Villa. Seine unerwartet scharfsinnige Analyse ihrer Reaktion hatte sie derart verblüfft, dass sie beim Eintritt aus der gleißenden Sonne in das kühle Halbdunkel ins Stolpern kam. Sofort umfasste Xavier ihre Taille und hielt sie fest. Aber die Berührung durch seine Hände übte eine fatale Wirkung auf Mariella aus. Gänzlich ungebeten tauchten erregende Erinnerungen vor ihr auf: Xavier, wie er nackt im Wasser der Oase schwamm, Xavier, der sich über sie beugte und auf das Bett drückte, Xavier, der sie küsste, bis sie ihn so sehr brauchte, dass sie glaubte, den Schmerz nicht ertragen zu können.
Ihn brauchte? Sie brauchte Xavier nicht, würde ihn niemals brauchen. Niemals. Energisch befreite sie sich aus seinem Griff.
Xavier betrachtete sie missbilligend. „Sie müssen vorsichtiger sein. Sie sind sehr hellhäutig und nicht an unser Klima gewöhnt. Vor allem müssen Sie genug trinken, was auch für Fleur gilt.“
„Danke, aber ich kann sehr gut selber auf mich aufpassen“, erwiderte Mariella kühl. „Schließlich bin ich seit langem daran gewöhnt.“
„Ja“, sagte er unerwartet. „Der Tod Ihrer Mutter und Ihres Stiefvaters muss sehr schwer für Sie gewesen sein, nachdem Sie Ihren Vater schon so früh verloren hatten.“
„Verloren?“ wiederholte sie verbittert. „Ich habe meinen Vater nicht ‚verloren‘. Er hat meine Mutter sitzen gelassen, weil er die Pflichten als Vater nicht übernehmen wollte. Mir war er nie ein richtiger Vater, und meiner Mutter hat er das Herz gebrochen.“
„Meine Eltern sind auch bei einem tragischen Unfall gestorben, als ich gerade zehn Jahre alt war“, sagte Xavier überraschend verständnisvoll. „Aber ich hatte das Glück, dass meine Großmutter mir darüber hinweggeholfen hat. Wie uns beiden jedoch bekannt ist, bedingt das Wissen, elternlos zu sein, eine … ganz besondere geistige Unabhängigkeit. Man neigt dazu, eine Schutzmauer um sich zu errichten …“
Er verstummte, als Hera hinter ihnen die Eingangshalle betrat. „Wenn Sie jetzt Hera folgen, dann zeigt Sie Ihnen, wo Sie wohnen werden. Meine Tante müsste auch bald eintreffen, ums sie zu begrüßen.“
Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte er sich um und ging davon, so dass Mariella gar nichts anderes übrig blieb, als dem scheu lächelnden jungen Mädchen zu folgen.
Die Villa war viel weitläufiger, als Mariella gedacht hatte. Beeindruckt folgte sie Hera durch mehrere riesige Empfangssalons, dann eine Treppe hinauf und einen Kreuzgang entlang, durch den eine angenehm kühle Brise wehte. Von hier blickte man in einen völlig abgeschiedenen Hof, in dem das Wasser eines Swimmingpools glitzerte.
„Das ist Scheich Xaviers Hof“, flüsterte Hera fast ehrfürchtig und wandte nervös den Blick ab, als Mariella stehen blieb, um den Hof genauer zu betrachten. „Normalerweise ist es uns verboten, hier zu sein, denn die Frauen haben einen eigenen Eingang zu ihren Unterkünften.“
„Lassen Sie mich Fleur jetzt wieder nehmen“, sagte Mariella und genoss das Gefühl, die Kleine wieder auf dem Arm zu haben.
Eine Tür am Ende des Korridors führte in einen weiteren Kreuzgang, diesmal mit Blick auf einen makellos gepflegten Rosengarten.
„Das war der Lieblingsgarten der Großeltern des Scheichs“, erklärte Hera. „Seine Großmutter war Französin, und auch die Rosen stammen aus Frankreich. Sie hat die Anpflanzung des Gartens persönlich beaufsichtigt.“
Die strenge, förmliche Anlage des Gartens beschwor bei Mariella das Bild einer sehr stolzen, sehr korrekten Frau, einer wahren Zuchtmeisterin herauf. Der Enkel kam offensichtlich nach seiner Großmutter!
Der Wohnbereich der Frauen erwies sich dann als reizvoller, als Mariella insgeheim erwartet hatte. Wieder öffnete sich ein Kreuzgang in einen abgeschiedenen Gartenhof, der allerdings
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