Nacht der Versuchung
ganz anders gehandhabt!“
„Dann ist es vielleicht besser, dass er nicht das Familienoberhaupt ist“, sagte Mariella unwillkürlich und biss sich auf die Zunge. Sie bemerkte Tanyas überraschten Blick und fügte erklärend hinzu: „Xavier ist der Bewahrer einiger unersetzlicher Traditionen, Tanya. Und wenn er diese Verantwortung aufgeben würde, würde womöglich eine über viele Generationen überlieferte Lebensart unwiederbringlich verloren gehen.“
„Eine Lebensart? Jedes Jahr wochenlang durch die Wüste zu ziehen ohne die Annehmlichkeiten eines zivilisierten Lebens! Nein danke, ich kann mir nichts Schlimmeres denken. Kannst du dir irgendeine Frau vorstellen, die bereit wäre, so zu leben?“
„Nicht dauerhaft“, antwortete Mariella sofort. „Aber um etwas so Wichtiges zu bewahren und um den Mann zu unterstützen, den ich liebe, um mit ihm zusammen zu sein und einen so wesentlichen Aspekt seines Lebens mit ihm zu teilen, ja, unter diesen Voraussetzungen kann ich es mir vorstellen und wäre bereit dazu.“
Ihre Schwester sah sie entgeistert an. „Du bist verrückt“, sagte sie kopfschüttelnd. „Genau wie Xavier. Tante Cecille hat tatsächlich Recht. Du und Xavier, ihr seid vom gleichen Schlag.“
Ehe Mariella nachfragen konnte, bei welcher Gelegenheit dieses Thema angesprochen worden war, hatten sie und Tanya den Salon erreicht.
„Mariella, wie schön Sie wiederzusehen!“ begrüßte Madame Flavel sie herzlich, und Mariella zog automatisch den Bauch ein, als die alte Dame sie liebevoll an sich drückte. Lange allerdings würde sie ihren Zustand so nicht mehr verbergen können. Deshalb war sie auch fest entschlossen, spätestens nach der Rennwoche sofort wieder nach England abzureisen.
Eine halbe Stunde später hielt Mariella Fleur auf dem Arm und fing an, sich etwas zu entspannen. Sicher war Xavier genauso erpicht darauf, ihr aus dem Weg zu gehen, wie sie umgekehrt. Vielleicht würde sie ihn ja gar nicht zu Gesicht bekommen!
Sie lachte und flirtete mit ihrer kleinen Nichte und vergaß alles andere rings umher, bis plötzlich Madame Flavel ausrief: „Ah, da bist du ja, Xavier!“
Xavier! Unwillkürlich fuhr Mariella herum und drückte Fleur fester an sich, als könnte sie bei ihr Halt finden, weil ihr unvermittelt die Knie weich wurden. Entsetzt spürte sie, wie es sie heiß durchzuckte. Das konnte, durfte nicht sein! Es war nicht gut, dass ihr Blick wie gebannt auf Xaviers markanten Zügen ruhte und sein Anblick sie mit schmerzlicher Sehnsucht erfüllte. Die Macht ihrer Gefühle erschreckte sie. Konnte sie sich wirklich noch länger einreden, dass er für sie nichts als der Erzeuger ihres Wunschkindes war?
„Xavier, ich habe Mariella gerade erst gesagt, wie ähnlich ihr beiden euch seid“, hörte sie Tanya sagen.
„Ähnlich?“
Mariella sah nicht auf, aber sie spürte Xaviers forschenden Blick.
„Ja, in euren Einstellungen“, erklärte Tanya und fügte neidlos anerkennend hinzu: „Wirklich, Mariella, du solltest eigene Kinder haben. Du bist die geborene Mutter.“
„Da bin ich ganz einer Meinung mit dir, Tanya“, pflichtete Madame Flavel ihr bei.
Mariella schoss das Blut heiß in die Wangen, als jetzt alle sie ansahen. Vor allem aber spürte sie Xaviers prüfenden Blick, der langsam über ihren Körper glitt und dann auf dem Baby verweilte, das sie auf dem Arm hielt. Die Vorstellung, dass sie in nur sechs Monaten sein Kind in den Armen halten würde, trieb ihr die Tränen in die Augen. Was war nur mit ihr los? Sie benahm sich ja … als wäre sie verliebt. Bis über beide Ohren, restlos, unsterblich verliebt. Aber das war nicht möglich! Sie würde es nicht zulassen!
Xavier beobachtete traurig, wie Mariella mit der kleinen Fleur schmuste. Die Erkenntnis, dass sie seine Gefühle nicht erwiderte, hätte eigentlich genügen müssen, um diese Gefühle zu ersticken. Er hatte versucht, sich das einzureden. Aber wenn er in diesem Moment mit Mariella allein gewesen wäre …
Mariella wiederum hatte große Mühe, ihre wachsende Panik zu bezwingen. In den Anfangswochen ihrer Schwangerschaft hatte sie unter Übelkeit gelitten, aber in den letzten beiden Wochen war das eigentlich vorbei gewesen. Die Übelkeit, die sie jetzt zu überwältigen drohte, war durch ihre aufgewühlten Gefühle verursacht und durch die Sorge, dass es ihr nicht gelingen würde, vor Xavier zu verbergen, was sie empfand. In ihrer Angst wandte sie sich von ihm ab und begrüßte zusammen mit Tanya Khalid, der in
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