Nacht des Ketzers
darüber hinaus. Er würde mit den Verlegern einen guten Preis für seine Bücher aushandeln und sie dann heimlich nach Italien bringen. Eine verlockende Aussicht. Beschwingt machte er sich wieder ans Werk.
Als er die vom Verlag geforderten Bände fertiggestellt hatte, machte er sich noch rasch daran, ein philosophisches Buch, dem er den Titel „Von dem Unzählbaren, dem Unermesslichen und dem Unvorstellbaren“ gab und das er in Fragmenten bereits längere Zeit mit sich herumtrug, zu Ende zu bringen. Sollte in seiner alten Heimat tatsächlich ein neuer Geist anbrechen? Gab es tatsächlich immer mehr Menschen, die sich den Dogmen entzogen und sich ihre eigenen Gedanken machten? Nun, einen Versuch war es jedenfalls wert, und wenn seine Bücher heimlich in Umlauf kamen, sollte es ihm auch recht sein. Vielleicht könnte auch er eines Tages …? Doch halt, noch war die Zeit nicht reif dafür. Noch musste er sich in Deutschland der Arbeit und der Wissenschaft widmen.
De Montaigne hatte immer vom deutschen Essen als dem besten in ganz Europa geschwärmt. Dem konnte Giordano nicht so ganz beipflichten. Zu all den üppigen Fleischgerichten gab es Salate aus Weißkraut oder Pflaumenkompott. Giordanos an neapolitanische Kost gewöhnter Magen war schon bei seinem kurzen Aufenthalt in England ziemlich auf die Probe gestellt worden, und nun in Frankfurt tat er sich schwer, etwas für ihn Verträgliches zu finden. Doch Essen spielte für ihn ohnedies eine untergeordnete Rolle, nicht so wie für seinen französischen Freund, und solange reichlich Apfelwein vorhanden war, scheute er auch vor gesottener Ochsenbrust und geschmorten Schweinerippen nicht zurück.
Die Buchmesse war für Verleger wie Autor ein großer Erfolg gewesen, und nach einer Phase der Ruhe, in der Giordano lange Spaziergänge am Main entlang unternommen hatte, drängte es ihn wieder hinaus in die Welt. Er wollte wieder Vorlesungen halten, wollte seine Hörer zum Toben bringen und mit einfachen Kunststücken Staunen auf ihre Gesichter zaubern. Die Verleger wollten ihn freilich nicht ziehen lassen, versuchten, ihn mit einem langfristigen Vertrag an sich zu binden, und versprachen ihm große Summen Geldes, doch das alles konnte Giordano nicht locken. Da kam ihm ein Brief des Buchhändlers Ciotto sehr gelegen, den ihm einer seiner Mitbrüder vor die Zellentür gelegt hatte. Ciotto bat Giordano, nach Venedig zu kommen. Als er diese Zeilen las, prallte er erst entsetzt zurück. Nach Italien? Niemals! Er las weiter. Der venezianische Edelmann Giovanni Mocenigo wollte ihn einladen, damit er ihn in die Geheimnisse der Gedächtniskunst einweihe. Aufmerksam las Giordano die Zeilen. Er, Ciotto, wisse sehr wohl, dass er große Vorbehalte gegen eine Rückkehr nach Italien hege. Aber er versichere ihm, dass Signore Mocenigo ein sehr einflussreicher Mann sei, der ihm vielleicht sogar eine Lehrbefugnis an der Universität beschaffen könne. Giordano legte den Brief zur Seite und starrte entgeistert auf die Zellenwand. Eine Lehrbefugnis? Für ihn? In Italien? Er schien zu träumen. Noch einmal las er die Zeilen. Hier stand es doch. Schwarz auf weiß. Darüber hinaus, schrieb Signore Ciotto, wisse er sicher, dass in Venedig immer schon ein liberalerer Geist geherrscht hätte als anderswo. Signore Mocenigo jedenfalls könne ihm allen Schutz zusagen, dessen er bedürfe. Giordanos Herz klopfte wie wild. Konnte das wahr sein? Sollte der Traum wahr werden? Rückkehr in die Heimat? Lehrbefugnis? Hatte Ciotto nicht etwas von einer großen Anhängerschaft erzählt? Menschen, die sich heimlich seine Bücher bringen ließen? Er konnte es nicht glauben.
Kapitel 69
Anna kam rasch wieder zu Kräften. Guiseppe hatte trotz ihres körperlichen Zustandes darauf gedrängt, so weit wie möglich von Genf wegzukommen. Sie hatten aus dem Stall des Richters noch ein Pferd mitgenommen, ansonsten besaß Anna nur die Kleider, die sie am Leib trug. Zu Beginn mussten sie mehrmals haltmachen, da Guiseppe fürchtete, sie würde vom Pferd fallen. Er fror, weil er ihr seinen Mantel übergeworfen hatte. Aber er war glückselig, weil er sie bei sich und in Sicherheit wusste. Die erste Nacht verbrachten sie in der Scheune eines Bauern. Er konnte kein Auge zumachen, da er ständig in der Angst lebte, dass man sie verfolgte und die Flucht in letzter Sekunde doch noch vereitelt wurde. Auch schalt er sich, weil er keine Waffen und keine Kleidung für Anna mitgenommen hatte. Aber egal. Wie ein Kind lag sie nun
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