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Nacht des Ketzers

Nacht des Ketzers

Titel: Nacht des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Weinek
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Vorwurfs der Ketzerei das Land hatten verlassen müssen, hätten in Genf Zuflucht gefunden. Es handelte sich meist um Künstler und Wissenschaftler, aber auch Adelige waren darunter.
    „Nimm Platz, Giordano. Wir freuen uns immer, wenn unsere kleine Gruppe Verstärkung bekommt.“ Gian Galeazzo Caracciolo, der Marchese di Vico aus Neapel, war der Rädelsführer der Italiener im Genfer Exil. Er, einst einer der reichsten und prominentesten Patrizier Neapels, hatte ebenfalls aus Glaubensgründen fliehen müssen und sich den Calvinisten angeschlossen. Der Marchese gehörte zu den engsten Vertrauten Théodore de Bèzes. Sein Haus war spartanisch eingerichtet. Keine Bilder an der Wand, die Möbel schlicht. Es gab keine Bediensteten, zumindest konnte Giordano niemanden sehen. Im Innenhof des Hauses stand ein Ziehbrunnen, aus dem zwei Frauen aus der Nachbarschaft unaufhörlich Wasser in eine Holzwanne gossen, um darin das Leinen des Marchese mit einer Art Kernseife zu bearbeiten. Der Marchese lächelte verlegen, so als wäre es ihm unangenehm, dass sein Gast diesen Luxus bemerkte. Ein hoher Kastanienbaum spendete Schatten. Ein betagter Kater lag träge darunter, leckte sein Fell, streckte sich und gähnte.
    „Als Erstes brauchst du das hier.“ Der Marchese versuchte, Giordano abzulenken, legte ihm Hut, Mantel und Degen hin. Er lächelte wohlwollend und hieß ihn mit einer Handbewegung sein Ordenskleid ablegen und seine neuen Kleider überstreifen. Mit einem raschen Griff nahm er die Mönchskutte und das Skapulier an sich.
    „Das wirst du sicher nicht mehr benötigen.“ Giordano sah etwas verdutzt drein, als der Marchese sein Ordensgewand an sich nahm. Aber weshalb auch eigentlich nicht, er hatte ja recht. Die Kleider hatten ihm seit Padua ohnedies nur noch dazu gedient, Nahrung und Unterkunft zu erhalten. Aber jetzt war er ja endlich angekommen. Etwas unsicher betrachtete er sich in der ungewohnten Kostümierung.
    „Morgen besorge ich dir Arbeit als Schriftsetzer in einer Druckerei.“ Freundschaftlich klopfte der Marchese Giordano auf die Schultern. „Nun geh, sieh dich um in der Stadt. Ich habe noch zu arbeiten.“
    Gut gelaunt verließ Giordano das Haus des Marchese de Vico. Es war noch nicht spät, und so beschloss er, die Akademie aufzusuchen. Auf seinem Weg begegnete er einem Eselsgespann, auf dem fast reglos zwei Frauen knieten. Arme und Beine waren mit Ketten gefesselt. Das Haar hatte man ihnen abgeschnitten, die Gesichter waren rußgeschwärzt, die Lippen und Augen geschwollen und blutig von Schlägen.
    Über dem ganzen Ort lastete eine gedrückte Stimmung, aber Giordano konnte oder wollte immer noch nicht sehen.

Kapitel 23
     
    Guiseppe durchzuckte es wie ein Blitz. Dieses Gesicht, die milchige Haut, die kleine spitze Nase, das blonde Haar, die glasklaren, blauen Augen. Da war sie wieder, die Frau aus seinem Traum, deren Anblick er nicht mehr vergessen konnte. Viel jünger und schöner noch, als er sie in Erinnerung hatte. Sosehr er auch versucht hatte, sie aus seinen Gedanken zu verbannen, sosehr er sich geschämt hatte. Es war ihm nicht gelungen, das Gesicht zu vergessen. Doch was machte sie hier in Genf? Nein, gewiss ein Irrtum. Verschüchtert sah die junge Frau nach links und rechts und eilte so schnell davon, dass Guiseppe für einen kurzen Moment an einen Spuk glaubte. So plötzlich, wie sie aufgetaucht war, war sie auch schon wieder verschwunden. Benommen von dieser Erscheinung, ging Guiseppe eine von Fachwerkbauten gesäumte Straße entlang, auf der Suche nach einer Bleibe. Verglichen mit Padua herrschte in Genf Hochbetrieb auf den Straßen, doch Guiseppe fühlte sich unwohl hier inmitten der vom wahren Glauben Abgefallenen. Sollte Giordano es vorziehen, in Genf zu bleiben, würde er seine Mission als gescheitert betrachten und nach Neapel zurückkehren. Aber vorerst wollte er bleiben und beobachten, wie sich die Dinge entwickeln würden.
    „Fünf Fiorini.“
    „Fünf Fiorini?“ Staunend und enttäuscht zugleich wiederholte Guiseppe die Worte des Wirtes, den er nach einem Zimmer gefragt hatte. Der kümmerte sich nicht weiter um ihn, sondern drehte ihm den Rücken zu und versuchte mit einem vor Schmutz starrenden Lappen, Krüge zu reinigen.
    Die Wirtschaft war leer. Die massive, kahlköpfige Erscheinung des Wirtes schien das einzige Lebewesen weit und breit zu sein. Guiseppe senkte den Kopf und wollte schon die Wirtsstube verlassen, als sich dieser abrupt umdrehte und ihn von oben herab ansprach:

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