Nacht des Ketzers
„Wenn du willst, kannst du für Kost und Logis bei mir arbeiten.“
Guiseppes Gesichtszüge hellten sich auf.
„Selbstverständlich, gerne, wie … wo …“, stotterte er. Was für ein Glück, kaum eine halbe Stunde in der Stadt und schon Arbeit und eine Unterkunft. Schweigend ging der Wirt voran in den hinteren Teil des Hauses. Neben dem Abtritt war ein kleiner Verschlag, kaum groß genug, dass sich ein erwachsener Mensch darin umdrehen konnte. Ein Strohsack, sonst war nichts in dem Raum. Kaum Tageslicht drang hinein. Immer noch stumm bedeutete der Wirt Guiseppe, dass dies nun wohl für die nächste Zeit sein Zuhause sein würde. Guiseppe hatte im Kloster Genügsamkeit gelernt, obwohl nicht alle sie ihm vorgelebt hatten. Als er seine Habseligkeiten auf den Strohsack warf, stoben Wanzen in alle Richtungen davon. Geduldig folgte er dem Wirt Richtung Küche und machte sich als Erstes daran, Essensreste und andere Küchenabfälle einzusammeln und hinter dem Haus auf eine Art Müllhalde zu werfen, auf der große, fette Krähen bereits auf Nachschub warteten. Guiseppe beobachtete die Vögel eine Weile, wie sie sich gegenseitig versuchten mit ihren Schnäbeln Brotrinden und Kohlblätter zu entreißen. Dutzende Mäuse wühlten in dem Abfallberg nach Brauchbarem. Guiseppe musste an das Mädchen denken. Ihr anmutiges Wesen ließ ihn die schmutzige Arbeit, die er zu verrichten hatte, vergessen. Gut und gern ein Dutzend Mal musste er den Holzeimer mit den Abfällen aus der Küche in den Hinterhof tragen. Wer sie wohl war? Die unbekannte Schöne konnte doch unmöglich die junge Frau, die er in der Nähe von Padua getroffen hatte, sein. Oder doch? Unweit des Müllbergs hielt der Wirt ein paar Hühner und Ziegen. Der von der prallen Sonne verstärkte Abfallgeruch überdeckte den Gestank der Fäkalien der Tiere. Nach dieser Arbeit musste Guiseppe sich an die Vorbereitungen für das Abendessen machen. Krautköpfe waren zu schälen und zu zerkleinern.
„Das hast du wohl noch nie gesehen, was?“ Spöttisch grinsend sah der Wirt Guiseppe zu, wie er neugierig einen von Erde verkrusteten Klumpen, den er ihm kurz zuvor in die Hand gedrückt hatte, von allen Seiten betrachtete. So etwas hatte Guiseppe tatsächlich noch nie gesehen. Der Wirt nahm ihm die Knolle aus der Hand und schnitt sie mit einem Messer mitten entzwei. Glänzendes, gelbliches Fruchtfleisch kam zum Vorschein, und als der Wirt ihm die beiden Hälften wieder entgegenstreckte, leckte Guiseppe vorsichtig daran. Der Wirt ging in die Knie und schlug sich auf die Oberschenkel vor Lachen, als er Guiseppes säuerliches Gesicht sah. Gar nicht aufhören zu lachen konnte er, und sein dicker Wanst wurde bei jeder Lachsalve aufs heftigste durchgeschüttelt.
„Kartoffel“, kam es endlich keuchend aus ihm heraus, „das ist eine Kartoffel, du Hohlkopf.“ Der Kopf des Wirtes war hochrot, und Guiseppe fürchtete, dass er jeden Moment zerspringen könnte. Zum ersten Mal in seinem Leben hörte er das Wort Kartoffel.
„Die gibt es bei uns schon seit einigen Jahren.“ Stolz schwang in seiner Stimme mit. „Wir sind zwar keine Seefahrer wie ihr Italiener, dafür aber gute Bauern und Geschäftsleute.“
Die calvinistische Stadtregierung hatte tatsächlich sehr früh erkannt, was man aus dieser Knolle, die den Weg aus der Neuen Welt nach Europa gefunden hatte, alles herstellen konnte, und veranlasst, dass Kartoffeln in großen Mengen in der fruchtbaren Erde an der Rhone angebaut wurden. Mit einer bestimmenden Geste deutete der Wirt nun auf einen großen Korb, und Guiseppe machte sich ans Werk, die Kartoffeln, so wie er es gezeigt bekommen hatte, mit einem stumpfen Messer zu schälen.
In einem großen Kessel bereitete eine Magd über offener Flamme eine Suppe aus Kraut und Kartoffeln zu. Der Wirt schickte Guiseppe in die Speisekammer, um aus einem der vielen Tonkrüge getrocknete Pilze zu holen. Als Guiseppe den ersten Tonkrug öffnete, suchten unzählige Schaben das Weite.
Nach und nach füllte sich die Wirtsstube. Schweigend setzten sich die Gäste, warteten geduldig, bis man ihnen die Suppe vorsetzte, und löffelten mit gesenkten Häuptern ihre Mahlzeit, ohne miteinander zu reden. Anders als in anderen Wirtshäusern üblich, wurde kein Wein ausgeschenkt. Jeder Gast ließ, nachdem er sein Mahl verzehrt hatte, ein paar Münzen auf dem Tisch liegen und ging, dem Wirt kurz zunickend. Die Fensterbalken waren geschlossen, so als sollte niemand sehen, was hier geschah. Kerzen
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