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Nacht des Ketzers

Nacht des Ketzers

Titel: Nacht des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Weinek
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erhellten den Raum, der intensiv nach Kraut und Schweiß roch. Guiseppe musste seine Suppe in der Küche löffeln. Die seltsame Zusammenkunft irritierte ihn. Was war bloß mit all diesen Menschen los?
    Müde von den anstrengenden Wanderungen der letzten Tage fiel Guiseppe in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
    Giordano hatte es besser erwischt. Seine Herberge war hell und freundlich. Sein Zimmer lag im ersten Stock. Die Wirtin, eine Witwe, wie sie ihm gleich bei seiner Ankunft erzählt hatte, bemutterte ihn, als sei ein verlorener Sohn nach Hause zurückgekehrt. Sie schien unwesentlich älter als er selbst. Das dunkelbraune Haar glänzte unter einer weißen Haube hervor. Die Zähne waren ebenmäßig und zeugten davon, dass ihre Besitzerin ihnen regelmäßige Pflege angedeihen ließ. Die Augen, so dunkelbraun wie die Haare, strahlten Frische aus, nur die Tränensäcke verrieten, dass sie viel durchgemacht hatte. Luftgetrockneter Speck, Brot und Käse schmeckten Giordano vorzüglich. Er hatte sich in der Akademie eingeschrieben und wollte gleich morgen eine Vorlesung bei Professor de la Faye besuchen. Der Philosoph war erst kürzlich zum ersten Professor der Theologie und zum obersten Geistlichen Genfs ernannt worden. Gespannt, in welche Geisteswelten ihn der Professor morgen entführen würde, schlief er ein.

Kapitel 24
     
    Mit einem kräftigen Tritt gegen den Verschlag weckte der Wirt Guiseppe. Ein trockenes Stück alten Brotes und ein Schluck Wasser, danach musste er sich um die Hühner und Ziegen kümmern. Ein Holzhaufen wartete darauf, zerkleinert und an der Hauswand gestapelt zu werden. Gegen Mittag wiederholte sich die gleiche Prozedur wie am Vorabend. Die Magd, eine kleine, dürre Frau von etwa fünfunddreißig Jahren, wohnte nicht im selben Haus wie der Wirt und der junge Mönch. Sie hatte die Reste vom Vortag auf der wiederentfachten Glut erwärmt und verteilte das Essen. Die Wirtsstube fasste etwa dreißig Menschen. Plötzlich drang Lärm von der Straße herein. Guiseppe lugte durch die Toreinfahrt, die in den Innenhof führte, und sah, wie immer mehr Menschen die Straße füllten und in Richtung Stadttor eilten. Auch die Gäste und der Wirt folgten dem Zug. Gespannt hielt er Ausschau nach Giordano. Mehrere hundert Menschen zogen an ihm vorbei, da sah er sie wieder, die Frau vom Vortag. Das blonde Haar hatte sie unter einem Kopftuch versteckt. Widerwillig ließ sie sich von einem Mann in einem langen, schwarzen Mantel zum Weitergehen drängen. Mal zog er sie, mal stieß er sie vor sich her. Guiseppe folgte ihnen mit einigen Metern Abstand. Der Mann trug einen langen Bart und hatte buschige, dunkle Augenbrauen. Auf dem Kopf trug er einen seltsamen Hut, der ihm etwas Offizielles, Amtliches verlieh. Einige hundert Meter vor den Stadttoren machte die Menge halt. Die Menschen bildeten eine Gasse, um dem Mann und der jungen Frau Platz zu machen. Es roch nach Pferdedung. Angst lag in der Luft. Die Menschenmenge bildete einen großen Kreis, in dessen Mitte vier Pferde, nach vier verschiedenen Richtungen aufgestellt, auf ihren schaurigen Dienst warteten. Zwischen den Pferden konnte Guiseppe einen Menschen ausmachen, der an Armen und Beine gefesselt, das Gesicht schreckensstarr nach hinten gekippt, etwa einen halben Meter über dem Boden hing. Neben jedem Pferd stand ein kräftiger Bursche mit einer Peitsche in der Hand. Bei genauerem Hinsehen konnte Guiseppe sehen, dass es eine Frau war, die zwischen den Pferden hing. Der schwarzgekleidete Mann hatte sich in die erste Reihe gestellt, links und rechts flankiert von etwa je zehn Mitgliedern des Konsistoriums. Alle waren sie ähnlich angezogen wie er, der wohl so etwas wie ihr Anführer zu sein schien. Er hielt die junge Frau fest an der Hand. Ihr Blick war zu Boden gerichtet. Der Schwarzgekleidete sprach ein paar Worte und deutet daraufhin auf einen Priester, der nahe an die gefesselte Frau trat und, die Hände links und rechts abgewinkelt, die offenen Handflächen nach vorne zeigend, als wollte er eine Horde wild gewordener Kühe stoppen, ein Gebet sprach. Die gefesselte Frau atmete stoßweise, dann wollte sie schreien, doch der nach hinten gekippte Kopf ließ nur einen lächerlichen, hohen Ton zu. Außer diesem Laut, der nun in ein keuchendes Fiepen überging, und dem Gemurmel des Priesters war es totenstill auf der Wiese. Die Augäpfel der Frau waren nicht mehr zu sehen, nur zwei weiße Halbmonde konnte man erkennen. Viele der Menschen hatten den Kopf gesenkt, nur

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