Nacht des Ketzers
die im Umkreis des Konsistoriums stehenden starrten mit leeren Augen auf die unschuldig dreinblickenden Pferde. Als der Priester sein Gebet beendet hatte, schaute er erwartungsvoll zu dem Mann in Schwarz. Der hatte mittlerweile einen Arm um den Kopf der jungen Frau neben ihm gelegt und zwang sie so, das nun Folgende mit anzusehen. Guiseppe sah, dass sie weinte. Ein Zittern durchlief die Pferde ebenso wie die Menschenmenge, als auf ein Nicken des Mannes der Priester zur Seite trat und die jungen Burschen ihre Peitschen hoben und sie zugleich mit einem kräftigen Schlag auf die Hinterteile der Tiere niedersausen zu lassen. Zwei der Pferde bäumten sich laut wiehernd auf, zwei versuchten wegzulaufen. Der Körper zwischen ihnen wurde wild hin und her geschüttelt, das lange Haar, das sich gelöst hatte, verdeckte das Gesicht der Frau. Ein Bein war aus der Gelenkspfanne gerissen, aber noch nicht vom Körper abgetrennt. Die Tiere schnaubten, und die Burschen versuchten, sie zu beruhigen und wieder in die Ausgangsposition zurückzubringen. Der Priester strich der Frau die Haare aus dem Gesicht und gab dem Konsistorium ein Zeichen, dass sie noch lebte. Abermals wurden die Pferde angetrieben, und dieses Mal rissen sie der Frau beide Beine aus dem Leib. Der Torso verspritzte Unmengen von Blut. Mit einem entsetzten Stöhnen wich die Menschenmenge zurück. Der Körper der Frau zuckte wie wild, und daran, dass sie den Kopf hin und her warf, konnte Guiseppe erkennen, dass sie immer noch nicht tot war. Wie gebannt starrte er auf das widerliche Schauspiel. Speichel schoss ihm in den Mund, er war kurz davor, sich zu übergeben. Der Frau neben dem Schwarzgekleideten, der die Hinrichtung mit einem zufriedenen Lächeln um die Mundwinkel verfolgt hatte, gelang es nicht, sich aus seinem festen Griff zu befreien. Die Pferde waren nun wieder einigermaßen beruhigt, und auf ein weiteres Zeichen eines Konsistoriumsmitglieds zückte einer der jungen Burschen ein Messer und machte mit einem raschen Schnitt durch die Kehle der Sterbenden, deren Kopf er am Haarschopf festhielt, der Tortur ein Ende. Das Konsistorium applaudierte, und Guiseppe spürte, dass die Menschen nur widerwillig in den Applaus einstimmten.
Schweigend machte sich der Zug auf zurück Richtung Stadt, während sich die Burschen daranmachten, die einzelnen Körperteile der Getöteten an die Äste einer breitgewachsenen Eiche zu binden.
Ein kurzer Blick. Guiseppe war immer noch geschockt von dem grausigen Erlebnis. Die Frau hatte kurz zu ihm hergesehen. Der Mann in Schwarz zog sie unablässig hinter sich her. Noch einmal drehte sie sich um. Ihr Blick drang Guiseppe durch Mark und Bein. Ihre Augen flehten um Hilfe, und in ihrer Tiefe vereinten sich die freudigen Erinnerungen, als sie voller Hoffnung endlich der Inquisition, die hinter ihrem Vater, einem angesehenen Lehrer, her gewesen war, in Florenz entkommen war und in Genf eine bessere, freiere Zukunft gefunden zu haben glaubte. In ihrem kurzen Blick spiegelten sich die traurigen Momente, als der Herr ihre Mutter nach einem langen, schweren Lungenleiden endlich erlöst hatte, ihr Vater immer mehr in die Fänge des Konsistoriums geriet, sich nach und nach veränderte und sie schließlich dazu drängte, diesen furchterregenden Mann an ihrer Seite zu heiraten – und er ließ erahnen, welch schreckliches Martyrium sie seitdem durchleben musste.
„Geschieht ihr schon recht, der Ehebrecherin“, brummte der Wirt später in der Gaststube unablässig vor sich hin. Bald darauf ging alles wieder seinen gewohnten Gang, so als wäre nichts geschehen. Stumm schälten Guiseppe und die Magd Maiskolben.
Guiseppe fand als Erster Worte. „Wer war der schwarzgekleidete Mann, der die Hinrichtung geleitet hat?“
„Guillaume de Leveré, der oberste Stadtrichter“, war die prompte Antwort, „und die junge Frau neben ihm war seine Ehefrau. Viel zu jung für ihn – und Italienerin.“ Die Magd wurde gesprächiger. „Er wollte ihr wohl zeigen, wie man bei uns mit Ehebrecherinnen umgeht.“
„Kommen solche Hinrichtungen öfter vor?“
„Sehr häufig“, antwortete die Magd. „Das Konsistorium wacht sehr streng über die Einhaltung unserer Gesetze. Ja, unser weiser Calvin wusste schon, was gut für uns ist, und Dirnen und Ehebrecherinnen brauchen wir hier nicht. Da wird kurzer Prozess gemacht, damit die anderen es sich gleich zweimal überlegen, etwas so Verwerfliches zu tun.“
Die Frau des Richters also, dachte Guiseppe. Das
Weitere Kostenlose Bücher