Nacht des Ketzers
im Vatikan nicht mehr verbessern. Er würde sich ein neues Opfer suchen müssen. In Padua, so sagte man, gäbe es einen Professor, der den Studenten ketzerische Thesen vortrug. Gleich morgen würde er Prior Scolari Nachricht schicken – oder nein, warum nicht gleich selbst nach Padua reisen, nach dem Rechten sehen und hören, was dieser sogenannte Gelehrte zu sagen hatte? Der Ordensgeneral verknotete den Gürtel seines seidenen Mantels über dem prallen Bauch. Er spürte einen stechenden Schmerz in der Leistengegend. Papst Clemens war schon alt. Die Kurie musste sich bald um einen Nachfolger umsehen. Er wusste, dass die Kardinäle untereinander zerstritten waren. Bellarmin, der Tugendhafte, kam nicht in Frage. Della Mirandola? Zu farblos. Er selbst … ja, er war noch verhältnismäßig jung. Hatte einen tadellosen Ruf. Der Professor in Padua käme ihm gerade recht. Der Wein ließ seine Gedanken fliegen. Papst? Er? Warum nicht? Was sprach dagegen? Kurzen Prozess würde er mit den Gegnern der Kirche machen. Langwierige Inquisitionsprozesse? Wozu? War der Schuldige erst einmal ausgemacht, auf den Scheiterhaufen mit ihm. Warum ihm überhaupt Gelegenheit geben, seine verwerflichen Gedanken mitzuteilen? Vielleicht den ein oder anderen vom Offizium infizieren. So, wie es Giordano Bruno ständig versucht hatte. Es war ihm nicht entgangen, dass so mancher nach einem Verhör grübelnd die Engelsburg verlassen hatte. Nein, so etwas würde er nicht zulassen. Das Feuer würde alles reinigen. Zweifel und Fragen würde es auslöschen, und nichts und niemand würde sich an der heiligen Kirche versündigen dürfen. Er, der Papst, würde sie alle ausradieren, die Zweifler und die Fragenden. Die Bibel war das Gesetz und wird es immer sein, und wer sich dagegen versündigt, ist des Todes und wird im ewigen Fegefeuer für seine Sünden büßen.
Beccaria war außer Atem. Er stützte sich an der Wanne ab. Noch einmal trank er aus dem Zinnkrug. Der Schmerz in der Leistengegend hatte sich wieder verflüchtigt. Nun würde er den Arzt doch nicht rufen müssen. Ein anderes Mal. Papst. Verteidiger der heiligen römisch-katholischen Kirche. Papst. Ja, das war sein Ziel. Den wahren Glauben würde er der Menschheit bringen. Die Gegner mit Stumpf und Stiel ausrotten.
Die Diener hatten das Bett frisch gemacht. Das Laken gewechselt und die Kissen aufgeschüttelt. Der Ordensgeneral streifte das seidene Nachthemd über und legte sich umständlich ins Bett, nachdem alle Kerzen in seinem Schlafgemach gelöscht waren. Der Wind wehte die Tücher vor den Fenstern in den Raum, so als bekäme er noch nächtlichen Besuch. Von der Straße herauf hörte er Hufeklappern. Papst. Zufrieden lächelnd schlief Beccaria ein.
Kapitel 21
Giordano war früh erwacht. Er hörte Stimmen vor dem Gang des Dormitoriums. Vorsichtig erhob er sich und schlich zu Tür.
„Ich will den Ketzer nicht in meinem Kloster haben.“ Prior Scolaris Stimme bebte. „Hier, nimm dieses Schreiben, es muss heute noch nach Rom abgeschickt werden.“ Scolari steckte Pater Rudolfo, seinem engsten Vertrauten, ein Schreiben zu. „Ihr, meine Brüder“, mit finsterer Miene wandte er sich an Raffaelo und Roberto, „ihr lockt Bruder Giordano unter irgendeinem Vorwand in den Keller und sperrt ihn dort in eine der verlassenen Vorratskammern, so lange, bis uns die Inquisition jemand schickt, um ihn abzuholen. Habt ihr mich verstanden?“ Streng sah er den beiden Mönchen in die Augen, waren sie es doch gewesen, die ihm diesen elenden Burschen ins Haus gebracht hatten. Willfährig nickten sie.
Giordano hatte genug gehört und gesehen, er konnte keine Minute länger bleiben. Rasch sammelte er seine Habseligkeiten. Der zur Wache eingeteilte Mönch am Haupttor hatte zwar strikte Anweisung, niemanden hereinzulassen. Hinaus durfte aber jeder, und so konnte er ungehindert das Kloster verlassen. Auch am Stadttor von Padua gab es keine Schwierigkeiten.
Nach Norden, nur weg, so schnell wie möglich. Der Norden war sein Ziel, da, wo die Protestanten sich anschickten, die Herrschaft zu übernehmen. Luthers Anhänger, dort musste er hin. Oder halt, am besten erst ins Zentrum des Protestantismus, nach Genf. Giordano lief fast, so schnell wollte er diese von der Pest und dem Klerus verseuchte Gegend verlassen. Genf, was für eine herrliche Aussicht. Der Geist Calvins würde sich mit seinen eigenen Ideen paaren … welch herrliche Kombinationen könnten sich ergeben! Den katholischen Gedankenplunder würde
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