Nacht des Ketzers
jetzt aus Valerio heraus, „hat er mir verraten, dass er für einen ganz hohen Herrn ein Schriftstück fälschen musste.“ Der Alte machte eine kurze Pause, so als fürchtete er selbst die Ungeheuerlichkeit seiner Anschuldigungen. „Dieser hohe Herr ist Euch kein Unbekannter, Exzellenz.“
Der Kardinal hatte ein beklemmendes Gefühl.
„Es ist der ehrwürdige Ordensgeneral Beccaria.“
Die Kehle Bellarmins schien auszutrocknen. „Was meinst du damit?“
Beschämt sah der alte Mann zu Boden, als wäre er der Schuldige, als habe er die Untat des Jungen nicht verhindert.
„Was ist das für ein Schriftstück?“ Der Kardinal wurde lauter. Ungeduldig klopfte er mit den Fingern auf das Schreibpult. Er ahnte bereits seit längerem, das Beccaria etwas im Schilde führte. Nun wollte er die ganze Wahrheit hören. Valerio nahm eine abwehrende Haltung ein, als fürchte er einen ungeheuren Wutausbruch seines Herrn. Er nahm nun alle Kraft zusammen, um seine Ausführungen zu Ende zu bringen.
„Es geht um Euch, Exzellenz. Der Ordensgeneral hat Massimo angestiftet, einen Abschiedsbrief in Eurer Schrift anzufertigen.“
Abschiedsbrief? Was für einen Abschiedsbrief? Bellarmin ließ sich in einen Stuhl fallen. Seine Hand fuhr sich ans Herz. Starr blickte er auf einen Gobelin, der die Enthauptung Johannes des Täufers zeigte.
„Ihr bedauert darin, dass Ihr wider besseres Wissen den Ketzer Giordano Bruno einsperren und foltern habt lassen.“ Hastig kamen dem Alten jetzt die Worte über die Lippen. „Aus Sühne dafür wähltet Ihr den Freitod.“
Bellarmin stöhnte auf, rang nach Atem. Das war es also. Beccaria wollte ihn beseitigen.
„Darüber hinaus empfehlt Ihr, den Ordensgeneral als Vorsitzenden des Offiziums einzusetzen.“
„Das wird er mir büßen.“ Bellarmin murmelte die Worte vor sich hin. Mit einer kurzen Handbewegung hieß er seinen Diener, sich zu entfernen. Er wollte jetzt allein sein. Sein Gehirn begann messerscharf zu arbeiten, wie immer, wenn er sich in einer Ausnahmesituation befand. Er konnte sich auf seinen Instinkt verlassen, und dieser Instinkt ließ einen furchtbaren Racheplan entstehen.
Kapitel 37
Giordano hatte viel über die Stadt Toulouse gehört. Angewidert von den Deformierten, wie er die Reformierten calvinistischer Prägung nun verächtlich nannte, wollte er sein Glück nun in dieser katholischen Hochburg versuchen. Er wusste, dass viele Künstler und Intellektuelle, Wissenschaftler und Philosophen hier lebten. Dennoch war der Konflikt zwischen Katholiken und Hugenotten unübersehbar. Die Bartholomäusnacht, in der Abertausende Menschen beider Konfessionen in Paris abgeschlachtet worden waren, hatte ihre langen Schatten bis hierher geworfen. Man begegnete sich mit gegenseitigem Argwohn, allzeit bereit, im Namen des Herrn die Waffen anzulegen und wieder gegeneinander loszuziehen. Doch für Giordano war Toulouse die Stadt des großen Glücks. Müde und erschöpft von der langen Wanderung über die Berge hatte er eine seinen finanziellen Verhältnissen angemessene Bleibe gefunden. Er hatte oft kilometerlange Umwege auf sich nehmen müssen, da manche Pässe wegen Schneefalls unpassierbar gewesen waren. Zum Glück hatte er in der Nacht, als er Genf verlassen musste, sein Ordensgewand vom Marchese Caracciolo zurückbekommen. „Wer weiß, ob du das nicht vielleicht noch mal gebrauchen kannst“, hatte er ihm mit auf den Weg gegeben. In seinen Augen war so etwas wie Traurigkeit zu erkennen gewesen. Er wusste, dass jemand wie Giordano Bruno ihrer Glaubensgemeinschaft gutgetan hätte. Vielleicht wäre es ihm gelungen, ihr System der gegenseitigen Bespitzelung und Denunziation zu durchbrechen. Alle lebten sie doch in der ständigen Angst, von irgendjemandem der Ketzerei bezichtigt zu werden, sei es aus Neid, Rache oder simpler Machtgier. Caracciolo wusste, dass sie sich in einem Teufelskreis befanden, der irgendwann zum Untergang ihrer Religion führen musste. Giordano hatte Charisma, war ein brillanter Rhetoriker und reinen Herzens, was man von den anderen Würdenträgern ganz und gar nicht behaupten konnte. Am liebsten hätte er ihn zum Abschied in den Arm genommen, doch an Giordanos Gesicht und Haltung konnte er ablesen, dass dieser ihn wohl zurückgewiesen hätte. Zu Recht, wie Caracciolo sich eingestehen musste.
Giordano hatte das Ordensgewand angezogen, wenn die einzige Möglichkeit auf ein Nachtquartier in einem Kloster bestand. Den Mönchen hatte er sich als Wanderprediger
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