Nacht des Ketzers
vorgestellt und ihre Gebete und Exerzitien mitgemacht. Zumindest hatte er so getan – und nun Toulouse. Klopfenden Herzens führte ihn sein Weg als Erstes zur Universität, und er war erstaunt, als ihm der Rektor sofort eine, wenn auch unbezahlte, Lehrstelle anbot. Professor? Nein, noch nicht ganz. Aber auf dem besten Weg dorthin. Giordano wollte es erst gar nicht glauben. Professor. Er. Greifbar nahe. Unter diesen Umständen war es für ihn natürlich ein Leichtes, eine Stelle als Hauslehrer zu finden, um so für seinen Unterhalt aufkommen zu können. Gleich am übernächsten Tag sollte er an der Universität zu lehren beginnen. Sein Fach war die Gedächtniskunst. Schließlich hatten Raimundus Lullus, einer der Großen in dieser Disziplin, und der große Petrarca hier studiert. In der Bibliothek der Universität fand er einen Band von Nikolaus von Kues, den er noch nicht kannte und der ihm bei seinen Vorbereitungen sehr hilfreich war. Auch ging er gleich daran, Thesen für seine Magisterarbeit zu formulieren. „Thomas von Aquin: die Verbindung von Theologie und Philosophie“. Das sollte sein Thema werden. Zwar hatte der berühmte Gelehrte im letzten Moment eingelenkt und die Philosophie der Theologie untergeordnet, aber er hatte eine Tür geöffnet, durch die Giordano nun, wenn schon nicht schreiten, so doch zumindest blicken wollte. Er war beflügelt. Einige Wochen arbeitete er an den Thesen, entschärfte sie jedoch auf Anraten eines wohlmeinenden Professors, bevor er sie dem Rat der Universität zur Beurteilung vorlegte. Das Gremium war sehr angetan von seiner Arbeit und schlug ihn für eine Einführungsvorlesung vor, nach der die Studenten und Professoren aus einer Reihe verschiedener Kandidaten den geeignetsten für den Lehrstuhl für Philosophie wählen würden. Giordano konnte in der Nacht vor der Vorlesung nicht schlafen und wälzte sich unruhig in seinem Bett hin und her, aber nicht etwa, weil er Angst hatte, die Wahl zu verlieren. Vielmehr machte er sich Gedanken darüber, wie weit er bei der Vorlesung gehen konnte. Außerdem schmerzte ihn wieder einmal ein Backenzahn, der ihm seit längerem zu schaffen machte. Ob er all das, was er in seinen Thesen zu Thomas von Aquin und der Auseinandersetzung zwischen Theologie und Philosophie nicht gesagt hatte, würde sagen können? Seine Theorie von der Verbindung zwischen Vernunft und Religion? Irgendwann fasste er einen Entschluss, und es gelang ihm, doch noch ein paar Stunden zu schlafen.
Selbstbewusst und stolz betrat er am nächsten Morgen den Hörsaal, der zum Bersten mit erwartungsvollen Gesichtern gefüllt war. Um die zweihundert Hörer zählte er rasch. Vermutlich waren es viel mehr. Zum Teil mit offenen Mündern lauschten sie seinem etwa einstündigen Vortrag. Selten wurde er unterbrochen von Zwischenfragen, die er bereitwillig beantwortete. Professor Giordano Bruno aus Nola. Das war sein künftiges Leben. Hier in Toulouse wollte er sesshaft werden. Irgendwann würde man seine Lehrstelle in eine bezahlte umwandeln. Dann würde er sich vielleicht sogar selbst ein Haus leisten können und möglicherweise gar eine Familie gründen. Auf jeden Fall sollte Ruhe einkehren in sein Leben und die Wanderschaft, die eigentlich eine stete Flucht war, ihr Ende finden. Giordano hatte den einfachen Weg gewählt, keine provokanten Thesen. Etwas Humor, in seiner Sprachwahl fast volkstümlich. Das gefiel Studenten und Professoren gleichermaßen.
Ein lang anhaltendes Trommeln auf die Schreibpulte kündigte seinen Triumph an. Professor Giordano Bruno.
In den hinteren Sitzreihen hatten sich drei Studenten, von Giordano unbemerkt, immer wieder vielsagende Blicke zugeworfen und Notizen gemacht – und noch einen eifrigen Hörer hatte er nicht bemerkt.
Kapitel 38
20. Juni 1598
Drei Tage hatte Massimo gebraucht, um unter Beccarias Anleitung den Bekenner- und Abschiedsbrief des Kardinals fertigzustellen. Der Ordensgeneral war mit der Arbeit sehr zufrieden. Er hatte auch bereits über Mittelsmänner zwei Kerle gefunden, die nachts in den Palazzo des Kardinals eindringen, diesen entführen und über eine der nahen Tiberbrücken in den Fluss werfen sollten. Beccaria rieb sich die Hände. Die Vorfreude, bald Bellarmin zu beerben, stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er wusste, der Papst konnte ihn nicht so ohne weiteres übergehen, und wen sollte er sonst anstelle des Kardinals als Vorsitzenden des Offiziums einsetzen?
Was Beccaria aber nicht wusste, war, dass man Massimo auf
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