Nacht des Ketzers
Geheiß des Kardinals in dessen Palazzo gebracht hatte. Zitternd kniete er vor dem hohen Herrn, konnte sich gar nicht erklären, wie dieser ihm auf die Schliche gekommen war. Bellarmin saß in einem thronähnlichen Stuhl in seinem Audienzsaal. Der Raum war mit Wandteppichen geschmückt. Eine Pieta, ähnlich der Michelangelos im Petersdom, nahm einigen Platz ein. Kerzen auf gedrechselten Holzständern und ein gusseiserner Kandelaber sorgten für Licht. Hinter Massimo standen zwei Wachen.
„Erzähl mir alle Einzelheiten, oder du wirst in den Kerkern der Engelsburg schmoren.“ Der Kardinal blickte mit finsterer Miene auf den armen Kerl herab. Massimo sah sehr heruntergekommen aus. Er hatte Tag und Nacht für Beccaria gearbeitet, dabei oft und gern dem Wein zugesprochen und sein Äußeres vollkommen vernachlässigt. Seine Kleidung hatte hier und da Löcher. Das Haar war strähnig, der Bart wucherte wild, doch die listigen grauen Augen über der knolligen Nase und den voluminösen Lippen waren nicht zu übersehen. Stammelnd und stotternd berichtete er von seinem Auftrag und wann er dem Ordensgeneral die Arbeit abzuliefern hatte.
Bellarmin hieß die Wachen, das Audienzzimmer zu verlassen, und bedeutete Massimo, näher zu kommen. Alkoholgeruch schlug ihm entgegen. Wie zuverlässig konnte so ein verwahrloster Trinker sein? Egal. Es blieb nun keine andere Wahl mehr.
„Also pass auf und präge dir gut ein, was ich dir nun zu sagen habe.“ Die Stimme des Kardinals klang verschwörerisch.
***
Beccaria lief aufgeregt in seinem Arbeitszimmer auf und ab. Endlich hörte er Schritte. Es klopfte. Ein Diener brachte eine Schriftrolle. Ungeduldig riss er sie ihm aus der Hand. Vorsichtig legte er sie auf seinen Schreibtisch, starrte sie mit leuchtenden Augen an, die Hände feucht und wie zum Gebet geformt vor dem Mund. Nun war der Augenblick gekommen. In dieser Nacht noch würde Bellarmin sterben, das Abschiedsschreiben dem Papst überbracht werden, und am nächsten Tag? Am nächsten Tag schon würde er, Beccaria, die Position Bellarmins einnehmen, und dann war es nur noch ein kleiner Schritt, bis er sein eigentliches Ziel erreichte: Papst. Papst und damit Herrscher über das christliche Abendland. Monarchen und Fürsten wären von seiner Gunst und Gnade abhängig. Beccaria hörte Geräusche aus dem Vestibül zu ihm hochdringen. Er ignorierte sie. Mit einem Seidentuch wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Liebevoll betastete er die Schriftrolle, wollte den Augenblick so lange wie möglich hinauszögern, bis er sie öffnete. Er würde alle Kardinäle auffordern, mit jedem der Ketzerei Verdächtigen kurzen Prozess zu machen. Nicht mehr jahrelange Verhöre und Folter wie bei diesem Giordano Bruno und unzähligen anderen Abtrünnigen zuvor. Auch Beccaria war nicht entgangen, dass sich der ein oder andere aus dem Offizium nach den Verteidigungsreden des Ketzers so seine Gedanken gemacht hatte. Nein, dazu sollten sie alle keine Gelegenheit mehr haben. Die Scheiterhaufen mussten brennen, damit in der Kirche wieder Ruhe und Frieden einkehren konnten. Sicher, es würden ein paar harte Jahre werden. Für alle, auch für ihn selbst. Aber was war das alles gegen das, was Christus zur Erlösung der sündigen Welt auf sich genommen hatte? Nein, Mitleid war hier fehl am Platz.
Schritte waren zu hören. Die Geschichte würde es ihm danken, ihm, dem neuen Papst. Die Schritte kamen näher, wurden immer lauter. Welchen Namen sollte er eigentlich annehmen? Leo, Paulus? Paulus, in der Tradition des großen Verkünders?
Es mussten mehrere Männer unterwegs zu Beccarias Arbeitszimmer sein. Ja, Papst Paulus, das gefiel ihm. Noch einmal betastete er die Rolle, dann zog er an dem seidenen Band, um sie endlich zu öffnen. Entsetzt wich er zurück. Er rang nach Atem, der Stuhl an seinem Schreibtisch fiel polternd um. Die Tür wurde aufgerissen, Wachen stürmten herein. Beccaria erbleichte.
„Nun, hochverehrter Ordensgeneral, was habt Ihr denn da?“ Die ruhige, fast sanftmütige Stimme Kardinal Bellarmins erfüllte den Raum. Er war hinter den Wachen hervorgetreten und griff nach der Schriftrolle. Beccaria drückte sie fest an seine Brust und starrte ihn entgeistert an. Die runden Augen schienen fast aus den Höhlen springen zu wollen. Der Kardinal lächelte immer noch milde.
„Was habt Ihr denn so Interessantes zu verbergen?“, fragte er mit gespielter Neugierde.
Beccaria blieb stumm, er sah durch den Kardinal hindurch. Atemzug um
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