Nacht des Ketzers
hatte er es getrieben und sich manchmal sogar dazu verstiegen, Thomas von Aquin in das Gespött über Aristoteles mit einzubeziehen, aber sehr rasch an den zum Teil entsetzten Gesichtern der Studenten, denen plötzlich das Lachen im Hals steckengeblieben war, erkannt, dass er zu weit gegangen war. Er wusste sehr wohl, dass dies alles sehr riskant war, da es nicht mehr zu seinem Lehrauftrag gehörte, aber er konnte nicht anders, musste ausholen, wenn er nahe an dieses Thema herankam. Konnte es einfach nicht ignorieren. Aber sich über den heiligen Thomas lustig zu machen, würden ihm auch die liberalsten Studenten und Professoren hier nicht verzeihen. Rasch würzte er die Vorlesung mit einer gehörigen Prise Humor, es erhellten sich die Gesichtszüge der Studenten, und am Ende gab es ein besonders lange anhaltendes Klopfen auf die Schreibpulte. Nun, auf dem Nachhauseweg, befiel ihn eine gewisse Leichtigkeit. Er summte ein Lied, was er schon seit Ewigkeiten nicht mehr getan hatte. Die feuchte Kälte machte ihm nichts aus. Die Hände hatte er auf dem Rücken verschränkt. Drei Studenten, die ihm schon die letzten Tage immer wieder aufgefallen waren, folgten ihm heimlich. „Monsieur le Professeur, auf ein Wort.“ Einer der Studenten hatte ihn überholt, sich abrupt umgedreht und stand nun etwa einen halben Meter von ihm entfernt. Giordano erschrak kurz, erkannte dann aber den jungen Mann und hob fragend die Augenbrauen.
„Was gibt es, Valentin?“ Der junge Mann war kurz irritiert, dass der Professor seinen Namen kannte. Er ahnte nicht, dass es für Giordano ein Leichtes war, sich die Namen all seiner Studenten einzuprägen und bei Bedarf abzurufen. Ein Spiel, das er mit sich selbst spielte, während er den Lehrstoff vortrug. Valentin murmelte etwas Unverständliches vor sich hin, seine beiden Kommilitonen schlichen sich von hinten an Giordano an. Beide hatten Messer in Händen. Doch als der Erste von ihnen die Hand hob, um zuzustechen, traf ihn ein Holzprügel mit voller Wucht auf den Hinterkopf. Ein Blutstrahl schoss aus der klaffenden Wunde hervor. Den Zweiten traf der Prügel mitten ins Gesicht, so dass das Brechen seiner Nase und des Jochbeins zu hören waren. Beide gingen sofort zu Boden. Guiseppe betrachtete ungläubig und zitternd vor Aufregung das blutige Stück Holz in seiner Hand. Noch nie hatte er einen Menschen tätlich angegriffen. Der Prügel glitt ihm aus der Hand und machte ein helles Geräusch, als er auf den gepflasterten Boden fiel. Das alles ging so schnell, dass Giordano immer noch mit verdutztem Gesicht mitten auf der Gasse stand, als sein Retter zum Aufbruch drängte, aus Angst, der geflohene Dritte, dieser Valentin, könnte wiederkehren und Verstärkung mitbringen. Über ihnen wurden hastig Fensterbalken geschlossen.
„Giordano!“ Zwei fragende Augen sahen Guiseppe an, als er den Namen aussprach. Er erkannte ihn nicht!
„Giordano, ich bin es, Guiseppe, dein Mitbruder aus dem Kloster San Domenico Maggiore“, keuchte er.
Ein heftiges Zucken um die Mundwinkel, den Blick starr auf ihn gerichtet, stand Giordano wie angewurzelt da. Drei, vier endlose Sekunden vergingen, dann machte er einen Schritt auf ihn zu, umarmte ihn und brach in heftiges Schluchzen aus. Die beiden Studenten lagen immer noch bewusstlos da. Erst jetzt erfasste Giordano die ganze Situation. Von seinen Gefühlen übermannt, ließ er ungehemmt seinen Tränen ihren Lauf.
Guiseppe fasst sich als Erster wieder. „Komm rasch weg hier. Du bist in Toulouse deines Lebens nicht mehr sicher.“ Willenlos ließ sich Giordano von ihm in Richtung des Hauses von Madame Bressault ziehen. Während sie mehr liefen als gingen, sprachen sie kein Wort miteinander. Am Haus der Zimmerwirtin erwartete sie deren Neffe François bereits. Er war es, der Guiseppe erzählt hatte, dass die Hugenotten planten, den Professor diese Nacht zu ermorden.
„Kommt, Monsieur le Professeur, Ihr müsst weg hier.“
Madame Bressault nahm Giordanos Hände und hielt sie zum Abschied kurz fest. Auch hatte sie Guiseppes Wanderranzen bereits gepackt und drückte ihm diesen in die Hand. Die Ähnlichkeit der beiden war erstaunlich. Doch das lag wohl mehr an dem fast gleich langen dunklen Haar, dem Bart und der von Sonne und Wind während der langen Wanderschaft wie gegerbten Haut.
„Mein Neffe François wird Euch sicher aus der Stadt bringen, zu einem Freund, der Euch diese Nacht verstecken wird. Hier seid Ihr nicht mehr sicher.“
Giordano ließ fast alles
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