Nacht des Ketzers
Emporen hoch oben in der Kuppel, erfüllten die Luft. Roberto Francesco Bellarmin, der mit den anderen Kardinälen direkt hinter dem Papst Einzug hielt, spürte die Erhabenheit, das Göttliche, das in der Luft lag. Er hatte sich in der Hierarchie der Kardinäle gegen den Neffen des Papstes, Pietro, und auch gegen dessen Vetter Cinzio Passeri Aldobrandini durchsetzen können und war somit der ranghöchste Geistliche nach Clemens VIII. Tausende von Kerzen tauchten den Dom in ein mystisches Licht, und es gab wohl niemanden unter den vielen Menschen, der von diesem Augenblick nicht ergriffen war. Als der Gesang verstummte, erfüllte majestätische Orgelmusik das riesige Bauwerk. Weihrauchschwaden zogen durch den Dom. Ein Zittern ging durch die Menschenmenge. Es war, als würde der Heiland nun zu ihnen herabsteigen. Abermals wurde es still. Nur ein rasches Räuspern war hier und da zu hören, dann kündigte das Läuten heller Glocken den Beginn der Messe an. Der Papst zelebrierte sie nach der im Trienter Konzil unter Pius V. festgelegten Missale Romanum. Das Messbuch schrieb den Ablauf minutiös vor.
Die Kardinäle hatten links und rechts neben dem Stuhl des Papstes Platz genommen. Die breiten Krempen ihrer roten, flachen Hüte stießen fast aneinander. Andächtig lauschten sie wie all die anderen auch den Worten des Papstes, die allerdings nur dem Adel, der unmittelbar neben dem Klerus Platz genommen hatte, verständlich waren, da die gesamte Messe lateinisch gehalten wurde. Bellarmin war besonders zufrieden. Ausdrücklich hatte Clemens ihn vor dem Kollegium wegen seines unerbittlichen Vorgehens gegen Beccaria gelobt. Es würde der Kirche zur Ehre gereichen, wenn das gemeine Volk erfuhr, dass man keinen Unterschied im Stande bei der Bekämpfung der Ketzerei machte. Im Gegenteil, es war von immenser Bedeutung zu zeigen, dass selbst eine hochgestellte Persönlichkeit wie der Ordensgeneral der Gerechtigkeit nicht entging, wenn er sich der kirchlichen und damit der göttlichen Ordnung entgegenstellte und kirchenfeindliche Lehren wie die des Giordano Bruno unterstützte. Selbstverständlich würde man ihm, wie Bruno auch, Gnade gewähren, wenn er seine frevlerischen Taten einsah, gestand und Reue zeigte. Doch Beccaria hatte sich beharrlich geweigert zuzugeben, dass er mit dem Philosophen sympathisierte oder gar mit ihm gemeinsame Sache machte. Nein, er hatte sogar dreist behauptet, das Ganze wäre eine Intrige gegen ihn, eingefädelt, um ihn, den unbeugsamen Kämpfer für Recht und Ordnung in der heiligen römisch-katholischen Kirche, aus dem Weg zu räumen. Um die Ungeheuerlichkeit auf die Spitze zu treiben, beschuldigte er Kardinal Bellarmin selbst, diese Intrige geplant und ausgeführt zu haben. Papst Clemens hatte mittlerweile den Sanctus abgeschlossen und sprach nun das Agnus Dei. Der römische Hochadel in der ersten Reihe trug seine prächtigsten Gewänder. Die hohen, mit bunten Federn geschmückten Kopfbedeckungen der Frauen raubten den dahinterstehenden Pagen und Kammerdienern die Sicht. Die Männer hatten, um die Ehrfurcht vor dem Göttlichen zu demonstrieren, ihre Hüte und Barette abgezogen, und manch einer nutzte die andächtig anmutende gesenkte Kopfhaltung für ein kurzes Schläfchen.
Erst als man Beccaria das erste Mal der Folter unterzog, hatte er die Anschuldigungen widerrufen, um so vielleicht den Kardinal milde zu stimmen, da er ja wusste, was ihm noch bevorstand. Der Vorsitzende des Offiziums hatte angeordnet, ihm alle Finger der rechten Hand mittels einer Daumenschraube zu quetschen. Beccaria hatte wie ein Hund gewinselt, und rasch war es mit seiner anfänglichen Halsstarrigkeit vorbei gewesen, so dass schnell klarwurde, dass er bei weiteren Folterungen all seine Untaten gegen die Kirche, begangen oder nicht, gestehen würde. Bellarmin hatte sich einige Monate Zeit gelassen, um seine Befragungen weiterzuführen. Der all seiner Titel verlustige Ordensgeneral sollte Zeit haben, sich zu besinnen, um dann vor dem Offizium zu bereuen und seinen Irrglauben zu widerrufen. Erst dann würde das Offizium entscheiden, ob man ihn für den Rest seines Lebens in ein fernes Kloster verbannen oder zum Schutze der Kirche auf dem Scheiterhaufen verbrennen würde.
Bellarmin roch durch die weihrauchgeschwängerte Luft den Alkohol, den ein Mitbruder neben ihm ausdünstete. Der kleine, rundliche Mann schien mit offenen Augen zu schlafen, und er stützte ihn, so gut er konnte, damit er nicht vor all den Gläubigen vom Stuhl
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