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Nacht des Ketzers

Nacht des Ketzers

Titel: Nacht des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Weinek
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beginnen. Nur wenn sie auf Italien zu sprechen kamen, hatten sich die Züge Guiseppes etwas erhellt, und erst recht, wenn Giordano von seiner unbeschwerten Kindheit in Nola erzählte. Vom Fischen und vom Jagen mit dem Vater, der ihm allerlei Kniffe beigebracht hatte, die ihnen auch jetzt zugutekamen. Etwa, wie man mit der bloßen Hand Forellen fing. Er war geradezu ein Meister darin, reglos in einem Bachbett stehend auszuharren, im richtigen Moment zuzupacken und den Fisch in hohem Bogen ans Ufer zu schleudern. Dann freuten sich beide wie kleine Kinder, saßen abends an ihrem Lagerfeuer, aßen den Fisch, verfolgten den Verlauf der Sterne und stellten Überlegungen über das Weltall an. Giordano gelang es in solchen Momenten sogar, sich zu beherrschen, wenn sein Gegenüber nicht sofort verstand, was er ihm erzählen wollte. Auch bei der Jagd hatten die beiden manchmal Glück, und es gelang ihnen, mit viel Geduld einen Feldhasen oder ein Rebhuhn in eine kunstvoll getarnte Grube zu locken. Beim Töten der Tiere war es wiederum Guiseppe, der sich unbekümmerter anstellte und mit einem raschen Hieb dafür sorgte, dass sie bald darauf einen leckeren Braten verspeisen konnten.
    „Komm, sag mir, was dich bedrückt.“
    „Nichts, lass nur“, winkte der Jüngere ab. Anna wollte ihm nicht mehr aus dem Kopf. Er fühlte sich schuldig, war hin- und hergerissen zwischen der Verantwortung, die er seinem Freund gegenüber empfand, und der Verpflichtung, der Frau, mit der er nur wenige Sätze bisher gesprochen hatte, in die er sich aber heftig verliebt hatte, zu Hilfe zu eilen.
    Giordano wollte nicht weiter in ihn dringen, sondern versuchte, ihn abzulenken.
    „Weißt du eigentlich, wie du dir ohne Mühe zwanzig verschiedene Begriffe merken kannst?“
    Guiseppe hatte zwar von der Gedächtniskunst gehört, sich aber bisher nicht weiter damit auseinandergesetzt.
    „Nehmen wir einmal an, es handelt sich um …“ Er sah sich um, und da ihm gerade nichts Besseres einfiel und auf einem nahen Hügel eine Kapelle stand, fuhr er fort: „… es handelt sich um Gegenstände aus einer Kirche. Zwanzig an der Zahl. Unmöglich, sich so viele Dinge für einen längeren Zeitraum zu merken, wirst du sagen.“
    Guiseppe nickte gespannt. Auch er sah nun zu der aus grauem Stein errichteten, schlichten Kapelle, zwang sich, der Rede des Freundes zu lauschen und nicht seine Gedanken ins ferne Genf entschwinden zu lassen.
    „Aber es ist ganz einfach. Hör zu! Stell dir ein Haus vor, ein möglichst großes. Du betrittst es durch das Tor und versteckst gleich hinter dem Eingang den ersten Gegenstand. Du gehst in das erste Zimmer, dorthin packst du den zweiten. In der Küche wird der dritte versteckt und in der Speisekammer der vierte. Dann gehst du über die Treppe in der ersten Stock.“
    Doch seine Gedanken waren nicht zu halten, hatten eben die Stadtmauern von Genf durchschritten, kurz bei seinem Wirt und der Magd haltgemacht und waren nun endlich am Haus des Richters de Leveré angelangt.
    „In der Dachkammer versteckst du den dreizehnten Gegenstand in einer alten Wäschetruhe“, fuhr Giordano unverdrossen fort.
    Ob ihr Leben in Gefahr war? Der Richter würde wohl nicht zögern, auch seine eigene Frau bei der kleinsten Verfehlung gegen Calvins Gesetze zu verurteilen, und was das bedeutete, hatte er ja mit eigenen Augen mit ansehen müssen.
    „Dann, nach sagen wir drei, vier Wochen, besuchst du einfach in deinen Gedanken wieder das Haus, gehst genau denselben Weg, den du zuvor gegangen bist, und holst einen Gegenstand nach dem anderen wieder aus seinem Versteck hervor.“
    „Das funktioniert?“ Guiseppe war für einen Augenblick zu Giordanos Ausführungen zurückgekehrt.
    „Gewiss. Du musst dich nur entschließen, die Gedächtniskunst jeden Tag zu üben, und du wirst sehen, schon bald gelingt es, dir die komplexesten Gebilde zu merken.“
    Der Mönch nickte. Ein Entschluss musste gefasst werden, das war ihm nun klar. Ein Entschluss, der möglichst bald in die Tat umzusetzen war.

Kapitel 44
    24. Dezember 1598
     
    Vier junge Priester trugen den Himmel über Papst Clemens VIII., als der greise Pontifex langsam den Petersdom durchschritt, um die Geburt Jesu Christi zu feiern. Die eiförmige Papstkrone auf dem Kopf, stützte er sich beim Gehen auf seinen Stab. Über fünfzigtausend Gläubige waren gekommen und säumten nun den Weg der Kirchenoberen zum Grab des heiligen Petrus. Gregorianische Choräle, gesungen von Mönchen und Kastraten auf den

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