Nacht des Ketzers
Meter.
„Den Professor kriege ich!“, rief einer mit hoher Stimme.
„Nein ich, ich häng ihn auf und schlitze ihm dann den Bauch auf!“
„Ich brate seine Eingeweide.“ Die Burschen lachten, waren sich ihres Sieges sicher.
Anna. Guiseppe hielt mit einer Hand die Zügel fest, mit der anderen umklammerte er seinen Degen, entschlossen, sein Leben so gut als möglich zu verteidigen – und noch einen Entschluss fasste er in seiner Todesangst. Er würde nach Genf zurückkehren und Anna retten.
„Den anderen spieße ich auf“, rief wieder einer. Die Verfolger waren auf etwa zwanzig Meter herangekommen.
Es war Guiseppe, als könne er bereits den Atem der Verfolger spüren. Er folgte, ohne zu zögern, den Anweisungen Giordanos. Wie Hasen versuchten sie, die Verfolger mit Haken abzuschütteln. Die Pferde taten sich zunehmend schwerer. Dennoch ließen die Hugenotten nicht locker, es war fast wie ein Spiel für sie, so sicher waren sie sich der Beute. Ja, es schien, als legten sie es geradezu darauf an, ihren Opfern das Gefühl zu geben, doch noch eine Chance zu haben, um dann in letzter Sekunde gnadenlos zuzuschlagen. Die Katze und die Maus, die Katze und die Maus. Fieberhaft suchte Giordano nach einem Ausweg. Die Katze und die Maus. Da sah er das Mauseloch. Eine kleine Spalte im Felsen. Gerade breit genug, als dass ein Mensch aufrecht durchgehen hätte können, oder ein Esel. Dahinter öffnete sich ein ausgetrocknetes Bachbett. Mit übermenschlicher Kraft trieben die beiden die Tiere an, sich durch den Spalt zu zwängen. Sie mussten ihre Beine anheben, doch es gelang. Die Pferde der Verfolger bäumten sich vor dem für sie unüberwindbaren Hindernis auf. Ihre Reiter hieben auf sie ein, doch ein Weiterkommen war unmöglich. Die Hugenotten stießen wilde Flüche aus, mussten aber einsehen, dass die beiden entkommen waren. Zu unwegsam war hier das Gelände, als dass sie mit den Pferden noch eine Chance gehabt hätten, sie einzuholen. Auch als sie schon längst außer Gefahr waren, trieben Giordano und sein Weggefährte ihre Tiere zu schnellem Lauf an. Geduldig ließen die Esel sich das gefallen. Erst nach etwa einer halben Stunde machten sie halt und fielen einander wortlos in die Arme.
Kapitel 43
Der Weg nach Paris war beschwerlich. Oft mussten sie Dörfer und Städte weiträumig umgehen, da sie entweder brannten oder dort heftige Kämpfe zwischen Katholiken und Hugenotten stattfanden.
„Narren, was für Narren, die einen wie die anderen.“ Giordano schüttelte unablässig den Kopf. Sein Backenzahn hatte ihm mehrere schlaflose Nächte hintereinander bereitet, und nur mit Mühe konnte er sich am Sattelknauf seines Esels festhalten. Guiseppe ritt knapp hinter ihm. Die beiden sahen nun nicht mehr aus wie Mönche, sondern trugen landesübliche Kleidung, die sie bei einem Schneider in Clermont-Ferrand gegen allerlei Schreibarbeiten erhalten hatten. Der Ältere hatte einen breitkrempigen Hut mit einer langen Pfauenfeder auf dem Kopf, der Jüngere ein schlichtes Barett gegen den immer schneidenderen Wind. Beide waren in lange Umhänge gehüllt. In Vichy wollten sie als Nächstes haltmachen, um sich Arbeit zu suchen, da die Esel endlich gegen zwei Pferde eingetauscht werden sollten.
„Dieser elende Zahn.“ Giordano unterdrückte ein Stöhnen. Ein Bauer hatte ihnen gesagt, es seien noch gut zwei Tage bis zur nächsten Stadt, und dem Leidenden eine Wurzel mit auf den Weg gegeben, die er zerkauen und deren Saft Linderung verschaffen sollte. Der Bauer hatte ihm auch strengstens aufgetragen, den Saft nur ja nicht zu schlucken, was Giordano ein ums anderen Mal vergaß, wenn er seinen Gedanken nachhing, und was zur Folge hatte, dass die Zahnschmerzen zwar weniger wurden, sich aber nun der Magen umso heftiger meldete.
„Zwei Tage also noch“, brummte er vor sich hin. Reiter und Esel brauchten eine Rast. An einem Waldrand ließen sie sich nieder. Die sanft hügelige Landschaft erstreckte sich weit vor ihren Augen. Giordano litt, aber er hatte gelernt, mit Schmerzen umzugehen, und wollte sie vor allem vor dem Jüngeren, so gut es ging, verbergen.
„Hier, trink etwas.“ Er reichte Guiseppe den Beutel aus Ziegenleder, den er immer noch besaß, doch der schüttelte den Kopf.
„Danke, ich bin nicht durstig.“
„Was hast du?“ Giordano hatte längst bemerkt, dass seinem Freund etwas auf der Seele lag. Die letzten Tage hatten sie kaum miteinander geredet, obwohl er immer wieder versucht hatte, ein Gespräch zu
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