Nacht des Ketzers
betrat er den Raum, in dem Giordano nicht mehr auf seinem Stuhl saß, sondern mit diesem umgekippt war und nun auf dem Boden lag. Über ihm hielt sein Peiniger triumphierend die Zange mit dem darin festgeklemmten Backenzahn in die Höhe. Nachdem sich sein Opfer wieder aufgerappelt hatte, verabreichte er ihm eine Tinktur, die die Blutung stoppen sollte, verband ihm den Kopf und wünschte ihm, nachdem er seinen Obolus entrichtet hatte, einen schönen Tag.
Giordano bedankte sich höflich, obwohl ihm eher danach war, dem Alten eine Tracht Prügel zu verpassen.
„Halt, noch auf ein Wort.“
Eben wollten die beiden sich mit ihren Reittieren auf Herbergssuche machen, als der Bader nach ihnen rief.
„Was wollt ihr für die beiden Esel haben?“
„Nichts“, erwiderte Guiseppe bestimmt, „die brauchen wir nämlich noch für unsere Weiterreise.“
„Wo soll’s den hingehen, wenn man fragen darf?“, blieb der Alte hartnäckig.
„Gen Norden, nach Paris, und nun adieu.“ Der Ältere war unruhig geworden, wollte weiter. Die Tinktur konnte den pulsierenden Schmerz im Unterkiefer kaum hemmen, und Giordano wollte so rasch wie möglich einen Platz finden, an dem er sich ausruhen konnte. Er mochte es nicht, wenn andere mitbekamen, dass er litt. In solchen Fällen suchte er die Einsamkeit und versuchte, mit Willenskraft des Schmerzes Herr zu werden, was auch oftmals gelang.
„Nun denn, dann habe ich euch einen Vorschlag zu machen.“
„Was denn?“ Guiseppe zeigte sich interessiert.
„Komm weiter.“ Etwas ungelenk schwang sich Giordano auf das kleine, treuherzig dreinblickende Tier.
„Ich habe hinter dem Haus zwei Pferde, die würde ich gerne gegen die Esel eintauschen.“
Die beiden sahen ihn ungläubig an.
„Glotzt nicht so. Ich kann die Tiere nicht gebrauchen, da sie zur Feldarbeit nichts taugen. Eure Esel hingegen kämen mir da sehr gelegen.“ Er machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: „Na, wie sieht es aus, schlagt ihr ein?“
Die beiden Freunde zögerten nicht lange. Das Angebot war viel zu verlockend. Mit Pferden würden sie Paris in nur wenigen Tagen erreichen können. Bevor es sich der Alte wieder anders überlegte, stimmten sie dem Handel zu. Die Tiere schienen in gutem Zustand zu sein. Sie schnaubten freudig, als die drei den kleinen Stallanbau hinter dem Haus betraten. Guiseppe klopfte den Pferden abwechselnd den Hals.
„Wenn ihr wollt, könnt ihr euch ein paar Tage bei mir ausruhen.“
Dankbar willigten sie ein, nur den kalten Braten mit Cidre musste Guiseppe allein genießen. Der Ältere hatte sich vom Bader noch einen Becher Branntwein geben lassen und war daraufhin vom Alkohol betäubt in einen tiefen Schlaf gefallen.
Kapitel 46
„Sir, welche Nachrichten bringt Ihr?“
Francis Drake verharrte noch etwas in der tiefen Verbeugung, die er vor seiner Königin machte, ehe er sich aufrichtete.
„Majestät, die spanischen Vorbereitungen sind schon sehr weit gediehen. Walsinghams Spitzel rechnen mit einer Invasion in den nächsten sechs Monaten.“
Bedrückt sah Elisabeth zum Fenster hinaus. Halb Europa hatte sich gegen sie verbündet, und nun setzte der spanische König zum alles vernichtenden Schlag gegen das britische Königreich an. Sie bebte innerlich. Wut und Trauer machten sich in ihr breit. Die letzten Jahre waren sehr hart für sie gewesen. Mehrere Mordanschläge gegen sie hatten erst in letzter Minute vereitelt werden können. Ach, wenn nur Raleigh wieder zurück wäre. Er hätte gewusst, was zu tun war. Er wusste es immer. Drake traute sie nicht so recht über den Weg. Obwohl er sich ihr gegenüber immer loyal verhalten hatte, war etwas an ihm, das sie zweifeln ließ. Zu viele Enttäuschungen hatte sie in der Vergangenheit diesbezüglich bereits erlebt. Aber Drake gehörte neben Walter Raleigh, Francis Walsingham und Robert Dudley zu ihren engsten Beratern. Sie hatten ihre Königin damals gewarnt und ihr geraten, Maria Stuart in den Tower zu werfen, da sie davon überzeugt gewesen waren, dass diese, sobald sich eine Gelegenheit bot, nach dem Thron von England greifen würde. Mehrfach hatte sie verkündet, dass sie die eigentliche Thronfolgerin Englands sei, da der Papst die Ehe zwischen Elisabeths Vater Heinrich VIII. und Anna Boleyn nie legitimiert hatte und sie somit neben der kinderlosen Tochter Heinrichs, Maria I., Anspruch auf die Krone hätte.
Die Inhaftierung Marias hatte das katholische Europa gegen Elisabeth aufgebracht. Wie es der Gefangenen wohl ging? Die
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