Nacht des Ketzers
Königin musste oft an sie denken. Sie selbst war als junges Mädchen im Tower eingekerkert gewesen. Als Mitglied des Hochadels hatte sie natürlich allerhand Privilegien genossen, dennoch hatte die Gefangenschaft sie sehr belastet. Dudley, ebenfalls Gefangener, war ihr damals begegnet. Bei dem Gedanken an ihn erfüllte ein Leuchten ihre Augen. Sie fasste wieder Mut.
„Nun gut, sobald Sir Raleigh aus der Neuen Welt zurückgekehrt ist, werde ich meinen Rat zusammenrufen, und dann werden wir entscheiden, wie gegen die Spanier vorzugehen ist. Er kann sich jetzt zurückziehen.“
Elisabeth hob die rechte Hand und bedeutete ihm zu gehen.
Abermals machte Drake eine tiefe Verbeugung und verließ den Audienzraum.
Philip II. hatte ihr einen Heiratsantrag gemacht. Das war schon einige Zeit her. Sie hatte ihn damals ausgeschlagen, hatte sich zu jung für die Ehe mit dem Monarchen gefühlt, und nun drohte er, mit seiner Armada die Seemacht England zu zerstören – und nicht nur das. Der Katholizismus sollte auch in ihrer Heimat wieder seine Vormachtstellung erlangen. Es war eine ungeheure Provokation für die Kirchenoberen gewesen, dass sie, noch dazu als Frau, sich zum Oberhaupt der anglikanischen Kirche hatte ausrufen lassen. Religiöser Fanatismus war ihr ein Greuel. Dass ihre Halbschwester Maria Protestanten hatte verfolgen lassen, widerte sie an.
„Wenn nur Raleigh schon wieder zurück wäre ... ich bin gespannt, mit welchen Schätzen er uns dieses Mal wieder überraschen wird“, dachte sie. Als er von seiner letzten Reise Kartoffelpflanzen mitgebracht hatte, war sie anfangs enttäuscht gewesen. Noch immer hatte sie sich nicht an den Geschmack gewöhnt. Doch ihre Untertanen liebten die knollige Frucht und verstanden sich mittlerweile darauf, sie auf verschiedene köstliche Art und Weise zuzubereiten.
Kapitel 47
Gegen vier Uhr morgens weckte Giordano seinen Weggefährten. Der anfangs brennende Schmerz in seiner Backe war in einen pulsierenden übergegangen. In den vergangenen Nächten hatte er kaum geschlafen. Unruhe begleitete die Schmerzen. Er wollte weg aus Vichy. Paris. Dort wollte er vollenden, was er in Toulouse begonnen hatte. Gleich an die Sorbonne und sich den Studien widmen. Er hatte in den schlaflosen Nächten viel nachgedacht. Der Bader hatte ihm ein Buch von Kopernikus beschafft. De Revolutionibus Orbium Coelestium. Die Erde drehte sich also um die eigene Achse. Kopernikus hatte den Winkelabstand von Merkur und Venus zur Sonne gemessen und daraus geschlossen, dass sich die Erde um sich selbst drehte. Luther hatte ihn deshalb einen Narren geschimpft. Seltsam, dass sich Rom damit noch nicht beschäftigt hatte.
Es regnete in Strömen. Mürrisch hatte Guiseppe etwas vor sich hin gebrummt und sich dann nochmals zur Seite gedreht.
„Wach auf, alter Freund, wir müssen los!“
Lange waren sie am Vorabend wach gewesen. Hatten über Gott und die Welt gesprochen und auch über die Liebe. Guiseppe hatte von Anna erzählt und einen geduldigen Zuhörer gefunden, der nur ein paarmal stumm genickt hatte. Er hatte auch gestanden, dass er ihm im Auftrag des Klosters gefolgt und bereit gewesen war, ihn wenn nötig der kirchlichen Gewalt auszuliefern. Als er daraufhin beschämt den Kopf gesenkt hatte, hatte der Ältere ihm auf die Schulter geklopft.
„Nun hast du ja gesehen, dass ich kein Ungeheuer bin, von dem Gefahr für die rechtgläubige Christenheit ausgeht.“
Guiseppe lächelte befreit, froh, sich endlich offenbart zu haben und dass der Freund so großmütig reagierte.
Der Bader hatte sie mit köstlichem Rotwein und einer herrlichen luftgetrockneten Wurst versorgt. Obwohl die Wunde im Zahnfleisch ein Kauen größerer Bissen kaum zuließ, hatte Giordano kräftig zugelangt. Der Alkohol hatte das Pulsieren im Zaum gehalten. Kurz vor Mitternacht hatte er den Jüngeren zu Bett gebracht und sich danach wieder an sein Buch gesetzt. Doch jetzt wollte er los. Die Pferde warteten bereits gesattelt und mit ihrem Gepäck versehen auf den Aufbruch. Nachdem Guiseppe keinerlei Anstalten machte, sich aus dem Bett zu erheben, beschloss der Ältere, zu drastischeren Mitteln zu greifen.
„He, was …?“ Ein Spritzer eiskaltes Wasser löste das Problem, und wenig später saßen sie im Sattel. Vor sich hin dösend der eine, voller Hoffnung und Vorfreude auf das Neue der andere. Der Regen war stärker geworden. Beide waren in dicke Mäntel gehüllt, die alsbald zu triefen begannen und immer schwerer wurden. Ein Hund
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