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Nacht des Ketzers

Nacht des Ketzers

Titel: Nacht des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Weinek
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neuen Freund um Rat fragen. Wenn es denn nur endlich zu einer Aussprache käme! Wie viel konnte er von ihm lernen? Er war doch hoffentlich nicht überraschend abgereist? Oder gar krank geworden? Nein, am Morgen hatte er noch ganz munter mit ihm im Hörsaal gestanden. Hatte er nicht gesagt, er warte auf eine Audienz beim König? Vielleicht war er just zu dieser Stunde im Palast und feierte ein ausgelassenes Fest, während er hier in seiner Kammer hockte und Trübsal blies. „Halt ein, Giordano, du vergaloppierst dich“, sagte er sich. „Natürlich bist auch du ein Gelehrter. Hast deine Theorien von der Unendlichkeit des Universums, die einzig und allein die Allmächtigkeit Gottes bestätigen, selbst entwickelt. Ohne fremde Hilfe, von niemandem kopiert, und dort, wo die Freiheit des Geistes herrscht, hört man dir begeistert zu. Es ist nichts Falsches daran, von Erfahreneren zu lernen, ihren Wissensschatz zu nutzen und dem eigenen hinzuzufügen. Das Selbstbewusstsein war wieder zurückgekehrt. Der Himmel hatte sich geklärt. Die Sterne funkelten. Er nahm sich vor, de Montaignes Erfahrungsvorsprung mit dem anderen Geschlecht endlich einzuholen und gleich am nächsten Morgen an die Sorbonne zu gehen und die Professur, die man ihm anbieten würde, auszuschlagen.

Kapitel 59
     
    Giordano hatte tief und fest geschlafen. Mit dem ersten Tageslicht war bereits Leben in die engen Gassen von Paris eingekehrt. Marktleute, Hoflieferanten, sie alle waren unterwegs, um ihre Waren zu verkaufen oder abzuliefern. Ein Transport mit Gefangen fuhr unter lautem Wehklagen von der Bastille zur Hinrichtungsstätte. Giordano hörte die schmerzlichen Rufe der Angehörigen, die den Transport begleiteten. Für einen kurzen Augenblick fühlte er sich an Genf erinnert. Ob der gute Guiseppe schon heil angekommen war? Wenn ja, würde es ihm wohl gelingen, die Frau des Richters zu retten? Wenig später heiterte Kinderlachen seine Gemütslage wieder auf. In der Küche der Valentins herrschte emsiges Treiben, die Familie wollte Verwandte auf dem Land besuchen und natürlich sehen, ob sie das ein oder andere gute Stück Wildbret bekommen konnte, wie Monsieur Valentin am Abend noch mitzuteilen gewusst hatte. Giordano fröstelte leicht, als er aus dem Bett schlüpfte. Rasch zog er Socken über, schlüpfte in die Holzpantoffeln, gähnte, streckte sich und machte sich auf den Weg Richtung Abtritt, wo die Kinder in einer Schlange warteten, bis sie an der Reihe waren. Artig wollten sie dem Gast den Vortritt lassen, doch der winkte ab, hob das jüngste hoch und warf es kurz in die Luft, wo es vor Freude juchzte. Giordano verfügte über eine gesunde Verdauung und war immer wieder überrascht, welch außerordentliche Einfälle ihm ein ausgedehnter Stuhlgang bescherte. Dieses Mal überlegte er, gleich nach seinem Besuch an der Universität einen geeigneten Platz für seine künftigen Vorlesungen zu suchen. Für die Unterrichtung in der Gedächtniskunst würde er Eintrittsgeld verlangen, und wenn sich das, was er gestern im Hörsaal erlebt hatte, wiederholen ließ, konnte er recht rasch ein hübsches Sümmchen erwirtschaften. Genug, um sich irgendwo selbst ein kleines Häuschen zu kaufen, und vielleicht würde er bald morgens hinter seinen eigenen Kindern anstehen. Der Gedanke erheiterte ihn. Zurück in seinem Zimmer, goss er Wasser aus einer Kanne in ein Waschbecken, zog sein Nachtgewand aus und wusch sich gründlich. Das kalte Wasser ließ ihn mit den Zähnen klappern, mehrmals schüttelte er heftig den Kopf und machte dabei ein prustendes Geräusch. Als er angezogen war, klopfte Monsieur Valentin, um sich zu verabschieden. Sie würden ein paar Tage fortbleiben. In der Speisekammer seien ausreichend Nahrungsmittel, und wenn er wolle, könne er sich gerne bei seinem Cognac bedienen. Giordano bedankte sich, suchte ein paar Unterlagen zusammen und machte sich auf den Weg Richtung Sorbonne. Einige junge Männer grüßten unterwegs. Sie waren wohl am Vortag in der Vorlesung gewesen. Vor dem Haupteingang der Universität stand eine Gruppe Jesuiten tuschelnd beisammen. Es versprach, ein schöner Tag zu werden. Die Sonne stand schon hoch, und die Bäume in den Hinterhöfen trugen erste Knospen. Sein Weg führte durch einen Park, und er bestaunte die zu Torbogen gestutzten Bäume, unter denen er durchgehen musste. Manche Sträucher waren zu Kugeln geformt, andere stellten Kegel dar, so als hätte ein Mathematiker hier geometrische Berechnungen angestellt. Möwen

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