Nacht des Ketzers
nähert, ist auch wirklich liberal. Überall lauern Missgunst und Neid. Ich selbst bin ob meiner Schriften mehrmals denunziert worden und durfte auch schon so manche Nacht in der Bastille verbringen. Oder meint Ihr, meine Schriften werden nicht mancherorts voll Argwohn betrachtet? Mehrmals hat man mir schon Ketzerei vorgeworfen. Aber, und dies sei mein Rat an Euch, es ist mir gelungen, meine Texte als das harmloseste Geschreibe auf der Welt darzustellen. Fürwahr, ich habe mächtige Fürsprecher.“ Er deutete dabei mit dem Kopf Richtung Louvre. „Doch die Mutter des Königs ist mächtig, und sie hasst alles Abweichlerische, alles, was nicht der katholischen Norm entspricht, und glaubt alles, was ihr die Vasallen des Papstes einflüstern. A ber so seid ihr Italiener vermutlich, alle papsttreu bis in den Tod.“ De Montaigne schmunzelte.
„Nun, gerade darüber wollte ich gestern Abend mit Euch reden, Monsieur de Montaigne.“ Giordano nutzte die Sprechpause des Älteren. „Vielleicht können wir heute …?“
„Aber gerne, es ist mir eine Freude“, fiel ihm de Montaigne ins Wort. „Es sei denn ...“, er stutzte einen Augenblick und fasste sich an den Rücken, „… meine Nieren lassen mich wieder im Stich. Ihr wisst ja, wo ich wohne. Am besten seht Ihr nach Einbruch der Dämmerung zu mir herüber, ob Licht brennt. Wenn ja, so kommt einfach vorbei. Ich habe auch ein paar gute Flaschen Rotwein aus Bordeaux bei mir. Aber wie gesagt, die Nieren …“
Giordano nickte.
„Ihr wisst ja, es kommt nicht so sehr darauf an, was man isst, sondern mit wem. Als kommt vorbei, wenn Ihr Licht seht.“
Giordano nickte erneut.
„Noch etwas …“ De Montaigne nahm den Jüngeren am Oberarm und lenkte ihn Richtung Haupteingang. „Meidet in Zukunft die Sorbonne. Wenn das eintritt, was ich erwarte, nämlich, dass Ihr als Privatgelehrter große Erfolge in der Stadt erzielen werdet, werden einige Professoren nicht eher ruhen, bis Ihr entweder aus der Stadt vertrieben seid oder in den Kerkern der Bastille landet. Missgunst und Neid sind gefräßige Tiere, ständig auf der Suche nach neuer Nahrung. Und für manche seid Ihr ein willkommener Leckerbissen. Auch am Königshof nehmt Euch in Acht. Die Professoren scharwenzeln ständig da herum, um eine Audienz beim König zu erhalten.“
„Königshof?“ Giordano sah ihn mit großen Augen an.
„Ach, ich vergaß ganz, Euch zu sagen, dass der König von Eurem gestrigen Vortrag erfahren hat.“ De Montaigne schmunzelte dabei, so dass Giordano sofort klar war, von wem der König davon erfahren hatte.
„Morgen Abend wünscht Seine Majestät Euch im Louvre zu sehen.“ Damit ließ er den Erstaunten stehen und eilte in Richtung Königspalast davon.
Kapitel 60
Es brannte tatsächlich noch Licht in den Wohnräumen Monsieur de Montaignes. Bis spät in die Nacht saßen sie, redeten und tranken. Anfangs war das Essen ihr Thema. Der Freund erklärte ihm, er esse gerne Fleisch, am liebsten schwach gebraten, aber gut abgehangen. „Wildgeflügel zum Beispiel gerne mit Hautgout“, sagte er und fuhr sich dabei genüsslich mit der Zunge über die Lippen. „Nur zäh darf das Fleisch nicht sein, auch nicht bei Fisch.“ Was dazu führte, dass er am Markt – er erzählte auch, dass er gerne selbst einkaufen ging – oft unter dem Staunen der Marktfrauen nach dem etwas älteren Fisch fragte. „Ich liebe Fisch“, fuhr de Montaigne fort. „Viel mehr noch als Fleisch. Zudem ist er viel leichter verdaulich.“ Wieder fuhr die Zunge über die Lippen. Ein Schluck Bordeaux, und weiter gingen die kulinarischen Ausführungen. „Als Kind habe ich Naschereien verabscheut, was meine Erzieher dazu angetrieben hat, sie mir nur noch stärker aufzuzwingen, betrachteten sie es doch als unnatürlich und als trotziges Verhalten, dass ein Kind keine Süßigkeiten mochte. Also war mir schon früh klargeworden, dass eigensinniges Verhalten nur zu Missstimmungen im menschlichen Miteinander führt. Jedenfalls habe ich es durch Selbstdisziplin geschafft, schließlich an allem Essbaren irgendeinen Gefallen zu finden, außer an Bier. Besonders die Melonen haben es mir als Kind angetan. Sonst waren Salat und Obst nicht unbedingt zu meinen Lieblingsspeisen zu zählen.“
Giordano war fasziniert von der Leidenschaft, mit der sein Freund über Essen und Trinken und dessen Auswirkung auf Leib und Seele des Menschen fabulieren konnte. Besonders angetan war dieser vom Essen in Italien. Die Frauen übrigens auch, wie
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