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Nacht des Ketzers

Nacht des Ketzers

Titel: Nacht des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Weinek
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in diesem Leben erlangen können, besteht darin, zu wissen, dass er über allem ist, was wir von ihm denken.“
    „Das leuchtet ein“, dachte Heinrich. „Wir können nur bis zu einem bestimmten Punkt denken, über diesen Punkt hinaus, das ist Gott. Schade, dass dieser große Geist nicht mehr unter uns weilt.“ Er hätte ihn an seinen Hof gebeten. Er hätte ihm eine lebenslange Stelle als Hoftheologe und -philosoph angeboten. Mit ihm hätte er die verderbten Gedanken des Protestantismus aus den fehlgeleiteten Köpfen mancher seiner Untertanen vertreiben und die Einheit der Religion unter dem siegreichen Banner des Katholizismus wiederherstellen können.
    Noch ein anderer Gedanke faszinierte ihn. Er wollte mit Hilfe der Magie mächtiger als seine Mutter werden, und er hatte gehört, dass an der Sorbonne ein junger Gelehrter Gedankenexperimente vorführte, die man sich nur durch Zauberei erklären konnte. Ein Italiener soll es sein. Ihn wollte er so rasch wie möglich in den Louvre holen lassen.

Kapitel 58
     
    „Ich finde“, las Giordano, „dass nach dem, was mir berichtet wurde, die Eingeborenen in jener andern Welt nichts Barbarisches oder Wildes an sich haben.“ Er hatte schon einige Berichte über die Entdeckungen in der Neuen Welt gehört und verschlang nun begierig de Montaignes Überlegungen dazu. Insgeheim bewunderte er den Mann, dessen Gedanken zu Gott und der Welt so leichtfüßig daherkamen, während sie bei ihm selbst schwer und tief waren und ihn nicht selten in eine längere Phase der Depression stürzten. Er erfreute sich an den lebensbejahenden Ideen und den philosophischen Analysen des menschlichen Daseins, die aber nie nur an der Oberfläche verharrten, und sosehr de Montaigne auch abstritt, Philosoph zu sein, so sehr war er es für Giordano in dem Ausmaß, dass es ihm mühelos gelang, sein bisher sich gefestigt habendes Weltbild gehörig ins Wanken zu bringen. Er las weiter die Berichte von Menschenopfern, die man brachte, um die Götter für bevorstehende Ernten oder kriegerische Auseinandersetzungen gnädig zu stimmen. Er las, dass man den Unglücklichen das Herz bei lebendigem Leibe aus der Brust holte, er las, dass man ihnen, darunter auch Frauen, die Haut abzog, um die Priester damit zu maskieren und die noch Lebenden briet und nicht selten sogar Teile von ihnen verzehrte. Dies alles beschrieb de Montaigne, um dann aber zu schlussfolgern, es sei keineswegs weniger barbarisch, Menschen der Folter zu unterwerfen und sie sodann noch lebendig auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen, und dies alles unter dem Deckmantel der Frömmigkeit und Gläubigkeit. Giordano hielt kurz inne. Sah zum Fenster hinaus. Der Mond tauchte immer wieder hinter Wolkenfetzen auf. Hunde heulten in den Gassen. Ein Betrunkener schien mit einer Dirne in Streit geraten zu sein. Er konnte ein kleines Stück des Louvre erkennen. Der Palast schien hell erleuchtet. Offensichtlich feierte der König ein Fest.
    Giordano gruselte es bei den Gedanken an die Kannibalen, doch wie hatte de Montaigne geschrieben? Ihren eigenen Vorfahren waren diese Gebräuche nicht fremd. Teils aus spirituellen Gründen, teils um das nackte Überleben zu sichern, hatten sie Menschen gegessen. Wie konnte man also diese Menschen aus einer fremden Welt verurteilen? Sie als barbarisch und wild bezeichnen, ohne sich selbst zu bezichtigen?
    Der Streit in der Gasse hatte aufgehört, nun waren es Katzen, die lärmten und deren brunftiges Jaulen an das Schreien kleiner Kinder erinnerte. Giordano rieb sich die Augen. Auch er würde sich wohl bald Gläser anschaffen müssen. Teilweise verschwammen die Zeilen. Das flackernde Kerzenlicht tat sein Übriges. Er schlug das Buch zu und ging ein paar Schritte auf und ab. Eigentlich hatte er gehofft, mit seinem Nachbarn heute Abend bei einem Schoppen Wein das eine oder andere philosophische Gespräch zu führen, und noch mehr hatte er insgeheim gehofft, vom Älteren für seinen überragenden Erfolg am Morgen an der Universität gelobt zu werden. Es klopfte. Der älteste der Valentin-Söhne brachte ihm einen Krug.
    „Verzeihung, Monsieur. Das schickt Euch der Herr Papa und wünscht Euch eine gute Nacht.“
    Dankbar nahm ihm Giordano den Krug mit frischem Bier aus der Hand, das der Junge vermutlich gerade aus einer nahen Gaststube geholt hatte. Er lächelte und tätschelte dem Knaben das Haupt. Obwohl er sich nichts aus dem Gerstensaft machte, tat ihm die kühlende Flüssigkeit gut und beflügelte seine Gedanken. Warum

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